Mercedes-Benz Heritage: Historie auf Hochregalen

Bei Mercedes-Benz Heritage kümmert man sich um die Ersatzteilversorgung von Fahrzeugen, die seit mindestens 15 Jahren nicht mehr produziert werden. Entsprechend kommen jedes Jahr zu den etwa 160.000 Teilepositionen im Germersheimer Lager weitere 20.000 bis 25.000 hinzu. Alle Teile eines jeden Fahrzeugs hat man allerdings nicht. Aus wirtschaftlichen Gründen - sowohl aus unternehmerischer als auch aus Kundensicht - müsse man abwägen, ob die Wiederauflage eines Ersatzteiles sinnvoll ist, erklärt Thomas Euchner, Leiter Ersatzteile Classic, Reproduktion & Logistik, Mercedes-Benz Heritage GmbH. Entsprechend heißt es auch in den gigantischen Lagerhallen auf der Grünen Insel: Nicht alles, was nachproduziert werden kann, muss auch nachproduziert werden. Angesichts der gigantischen Regale, in denen sich die automobilen Raritäten vergangener Jahrzehnte auftürmen, beschleicht den laienhaften Beobachter allerdings ein anderes Gefühl. Dabei tummeln sich unter den Ersatzteilen allerlei Kuriositäten, wie der 2,37 Meter lange Kotflügel eines alten Maybach (Baureihe 240) oder der originalgetreue Nachbau eines Ölers des ersten Patent-Motorwagens - immerhin aus dem Jahr 1886 - beweisen. Da drängt sich zunächst einmal die Frage auf, wie Mercedes-Benz Heritage überhaupt an Ersatzteile wie diese kommt. Zwischen Machbarkeit und Bedarf Der einfachste Weg ist der über einen bestehenden oder einen zertifizierten Zulieferer. Im Idealfall kann der das geforderte Ersatzteil in der ursprünglichen Herstellerspezifikation liefern, da er sowohl über die Werkzeuge als auch das Produktions- und Werkstoff-Know-how verfügt. So einfach, so klar. Im Falle des Ölers funktioniert das allerdings nicht, denn wie so oft im Classic-Bereich, sind die für die Produktion notwendigen Maschinen mangels Wirtschaftlichkeit schon längst verschrottet worden. Einfach nachproduzieren geht also nicht und es beginnt das Spiel des Abwägens. "Technisch ist alles möglich", so Euchner, "die entscheidende Komponente ist die Wirtschaftlichkeit, dies gilt sowohl für unser Unternehmen wie auch für die Kunden." So könne ein mehrere Jahrzehnte alter Scheinwerfer zwar technisch problemlos hergestellt werden - alle Zeichnungen und Entwicklungsdokumente stehen im Hersteller-eigenen Archiv zur Verfügung. Die Produktion und die fehlende Möglichkeit, die Werkzeug- und Herstellungskosten auf große Stückzahlen aufzuteilen, sorgt allerdings dafür, dass im Falle des Scheinwerfers ein vierstelliger Verkaufspreis zu Buche schlagen würde. Umgekehrt gibt es Fahrzeuge und Kunden, für die das Argument der Wirtschaftlichkeit keine Rolle spielt. Für solche Markenträger und fahrrelevante Teile gelten andere Gesetze. Um diese mit Ersatzteilen zu versorgen, arbeitet man bei Mercedes-Benz Heritage mit zertifizierten Zulieferern und dem eigenen Classic Center zusammen. So habe man dieses Jahr beispielsweise ein Maybach Cockpit und einen SLR Carbon-Monocoque für fünf- und sechsstellige Beträge nachgefertigt, führt Euchner weiter aus. Anhand dieser Extreme wird deutlich, dass es den einen Lösungsweg bei Mercedes-Benz Heritage nicht gibt. Mit jedem Bauteil stellt sich die Frage, ob hier eine Versorgungslücke geschlossen oder doch Mut zur Lücke bewiesen werden muss, erneut. Wird sich für ein Teil entschieden gerät es in die Mühlen einer ausgeklügelten Logistikkette. Dynamische Ersatzteillagerung Jeder Teileposition wird entsprechend ihrer Größe und der Häufigkeit, mit der sie benötigt wird, ein entsprechender Lagerplatz zugewiesen. Dabei gilt: "Je kleiner das Teil, desto höher der Automatisierungsgrad", erklärt Standortleiter Klaus Ziemsky, der auch den Bereich Weltweite Teilelogistik zu verantworten hat. Kleine Schrauben lassen sich deutlich besser in einen automatisch ablaufenden Prozess integrieren als der eingangs erwähnte Maybach-Kotflügel. Wie hoch der Automatisierungsgrad in Germersheim auch bei großen Teilen ist, wird an den bis zu 42 Meter hohen Regalen deutlich, an denen Roboter auf der Suche nach dem richtigen Ersatzteil wie von Geisterhand entlangzugleiten scheinen. Was für den menschlichen Beobachter Assoziationen zu den Straßenschluchten Manhattans weckt, ist für den Roboter nur eine Koordinate. Um lange Wege zu vermeiden und möglichst effizient zu agieren, sind die Teile entsprechend ihrer Häufigkeit, mit der sie benötigt werden, sortiert. Weil nicht jedes Ersatzteil über Jahre hinweg gleich häufig benötigt wird, kann sich sein Lagerplatz jederzeit ändern. Weltweiter 24-Stunden-Versand Für einen reibungslosen Ablauf sorgt eine gigantische und bis ins kleinste Detail durchorchestrierte Logistik mit der nicht nur jedes Teil immer nachvollziehbar gelagert wird, sondern auch innerhalb von 24 Stunden beim Kunden ist - weltweit. Um das zu ermöglichen, gibt es ein Vertriebspartnernetz mit rund 3.000 Mercedes-Benz Stützpunkten. Die Reise der Teile beginnt in einer der insgesamt sieben Packzonen in Germersheim. Länderspezifika müssen die dort arbeitenden Mitarbeiter ebenso beachten wie die Art des Versands. Es macht schließlich auch einen Unterschied, ob das Teil per Luftfracht oder ausschließlich mit dem Lkw transportiert wird. Zukunftspläne Trotz der gigantischen Zahlen sieht man sich hier in Germersheim längst noch nicht am Ende des Wachstumsprozesses angekommen - im Gegenteil. Das Original-Teile-Angebot von Mercedes-Benz Classic soll weiter ausgebaut und Versorgungslücken systematisch geschlossen werden. Lag der Fokus bisher in erster Linie auf den Highlight-Baureihen, sollen nun auch immer mehr Ersatzteile von Volumenmodellen in Germersheim lagern. Im Februar 2024 wurden zudem die Werkstattkapazitäten mit dem Zukauf von Bestandteilen der ehemaligen Kienle Automobiltechnik GmbH deutlich erweitert. Das schafft für Mercedes-Benz Klassiker aller Epochen zusätzliche Möglichkeiten für Werksrestaurierung, Reparaturen und Wartung.Auch der Onlineshop soll ausgebaut werden. Bis Mitte nächsten Jahres will man damit am Start sein. Online, das bedeutet jedoch auch immer: Die Konkurrenz, insbesondere aus Fernost, ist nur einen Klick entfernt. Überzeugen will man in erster Linie mit einer klassischen Mercedes-Benz-Tugend: kompromissloser Qualität. "Was der Kunde bei uns kauft, wird auch funktionieren", so Euchner, mit Blick auf nicht funktionierende Lichtmaschinen aus Fernost, welche auf einschlägigen Verkaufsplattformen gelistet sind.

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