Gebrauchtwagengeschäft: Herstellergarantie und Standzeiten

Aktuell hat der BGH zwei neue Fälle zur Sachmängelhaftung beim Gebrauchtwagenkauf entschieden. Im einen Fall klagte der Kunde auf Rückabwicklung, weil eine beworbene Herstellergarantie nicht bestand. Im anderen Fall wollte der Kunde sein Gebrauchtfahrzeug zurückgeben wegen einer vor der Erstzulassung liegenden Standzeit von 19,5 Monaten. Mit unterschiedlichem Ergebnis urteilte der BGH jeweils über das Vorliegen eines Sachmangels, also im Sinne der Definition des § 434 Abs. 1 BGB darüber, - ob mit dem Kaufvertrag eine konkrete Beschaffenheit des Fahrzeuges vereinbart wurde und eine solche Beschaffenheit fehlt, - ob sich das Fahrzeug ansonsten für eine nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet oder aber - ob es sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine übliche Beschaffenheit aufweist, die der Kunde bei einem Gebrauchtfahrzeug erwarten kann. Fehlende Herstellergarantie Der vom Kunden erworbene Gebrauchtwagen war vom Händler im Internet inseriert worden mit noch bestehender Herstellergarantie für mehr als ein Jahr. Da im Kaufvertrag keine entgegenstehende Regelung getroffen wurde, musste sich der Händler diese dem Vertragsschluss zugrundeliegende Fahrzeugbeschreibung als verbindlich zurechnen lassen. Zeitnah zum Kauf waren Reparaturen am Motor notwendig, die der Kunde über die Herstellergarantie abwickelte. Im Zuge weiterer anstehender Garantieleistungen wurde eine Motoranalyse durchgeführt mit dem Ergebnis, dass der Kilometerstand des Fahrzeuges zu einem Zeitpunkt vor Abschluss des Gebrauchtwagenkaufvertrages manipuliert worden war. Daraufhin verweigerte der Hersteller weitere Garantieleistungen und berechnete dem Kunden nachträglich auch Teile der bereits übernommenen Reparaturkosten und der Kosten des Ersatzfahrzeuges. Der Kunde erklärte daraufhin gegenüber dem Händler den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises und Ersatz der für ihn im Zusammenhang mit der Motorreparatur angefallenen Aufwendungen. Das Landgericht und das OLG hatten die Klage jeweils abgewiesen mit der Begründung, die Garantie sei keine dem Fahrzeug unmittelbar anhaftende Beschaffenheit. Sie betreffe lediglich im Außenverhältnis eine Rechtsbeziehung zwischen Kunde und Hersteller und könne deshalb keinen Sachmangel des Gebrauchtfahrzeuges als solches begründen. Diese Sichtweise wurde vom BGH verworfen (Urteil des BGH vom 15.06.2016 - Az. VIII ZR 134/15). Das Bestehen der mit der Insertion des Fahrzeuges ausgelobten Herstellergarantie für mehr als ein Jahr unterfällt dem mit der Schuldrechtsmodernisierung eingeführten weiten Beschaffenheitsbegriff. Dieser umfasst nicht nur die dem Fahrzeug selbst anhaftenden Eigenschaften, sondern auch alle wertbildenden Faktoren in der Beziehung zum Umfeld. Gerade das Bestehen einer Herstellergarantie kann nach Auffassung des BGH ein solcher wertbildender Faktor mit erheblichem Gewicht sein. Dies jedenfalls im vorliegend entschiedenen Fall mit einer noch laufenden Garantiezeit von mehr als einem Jahr. Mit dieser Vorgabe wurde der Fall zurückverwiesen an das OLG, da noch weitere Voraussetzungen des Rücktritts zu klären waren. Klargestellt hat der BGH aber darüber hinaus, dass der weite Beschaffenheitsbegriff nicht nur im Rahmen der konkreten Beschaffenheitsvereinbarung, sondern auch dann gilt, wenn es um die übliche Beschaffenheit eines Gebrauchtfahrzeuges geht. Wenn also der Kunde ohne Zusage einer Herstellergarantie ein Gebrauchtfahrzeug kauft, für das nach Alter und Laufleistung üblicherweise noch für einen erheblichen Zeitraum Herstellergarantie besteht, kann er dies bei Fehlen reklamieren. Gedacht sei hier an Importfahrzeuge mit Garantielaufzeiten abweichend von der deutschen Erstzulassung. Standzeit 19,5 Monate Gegen das Vorliegen eines Sachmangels entschied der BGH im zweiten Fall. Der Kläger hatte 2012 vom Händler ein Gebrauchtfahrzeug mit knapp 40.000 km für 33.430 Euro gekauft. Im Kaufvertrag wurde eingetragen "Datum der Erstzulassung lt. Fahrzeugbrief: 18.02.2010". Wie sich später herausstellte, war das Fahrzeug bereits am 01.07.2008 vom Band gelaufen, also erst 19,5 Monate nach der Herstellung zugelassen worden. Diese Standzeit und damit verbundene Alterungsprozesse reklamierte der Käufer in Anlehnung an die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Neufahrzeugen auch als Mangel des Gebrauchtfahrzeuges und wollte den Wagen zurückgeben. Das Landgericht hatte dem Kläger Recht gegeben, das OLG die Klage abgewiesen. Die Klageabweisung wurde vom BGH bestätigt (Urteil vom 29.06.2016 - Az. VIII ZR 191/15) mit folgender Begründung: In der Angabe des Erstzulassungsdatums liegt weder ausdrücklich noch stillschweigend eine Beschaffenheitsvereinbarung bezüglich eines bestimmten Herstellungsdatums oder Baujahrs. Dies schon gar nicht im vorliegenden Fall, nachdem der Händler bereits mit der Bezugnahme auf den Fahrzeugbrief ersichtlich keine eigene Zusicherung abgegeben, sondern lediglich eine sogenannte "Wissenserklärung" in den Kaufvertrag aufgenommen hatte. So bereits die ständige Rechtsprechung des BGH zu "unfallfrei laut Vorbesitzer". Der einschränkende Verweis auf die Herkunft der eigenen Kenntnis genügt regelmäßig nicht den strengen Anforderungen an eine Beschaffenheitsvereinbarung, die deutlich den Bindungswillen erkennen lassen muss. Auch außerhalb einer Beschaffenheitsvereinbarung ist mit der ursprünglichen Standzeit vor Erstzulassung für den maßgeblichen Zeitpunkt der Übergabe des Gebrauchtfahrzeuges keine Beschränkung der Gebrauchstauglichkeit für die gewöhnliche Verwendung und keine Abweichung von der zu erwartenden üblichen Beschaffenheit verbunden. Der durch die Standzeiten eintretende Alterungsprozess besitzt nach der Rechtsprechung des BGH bei Neu- oder Jahreswagen eine wirtschaftliche Bedeutung und rechtfertigt die Erwartung, dass Standzeiten nicht mehr als 12 Monate betragen. Auf ältere Gebrauchtfahrzeuge lässt sich dies nicht allgemeingültig übertragen. Es bedarf der Entscheidung im Einzelfall, weil die mit einer längeren Zulassung im Straßenverkehr und einer höheren Laufleistung verbundene Abnutzung des Fahrzeuges einen Alterungsprozess durch Standzeiten vor der Erstzulassung zunehmend an Bedeutung verlieren lässt. Bei dem hier zu beurteilenden Fahrzeug, das der Kläger nach einer Zulassungszeit von mehr als 2 Jahren mit einer Laufleistung von knapp 40.000 km erworben hat, können keine berechtigten Erwartungen bezüglich der Standzeiten vor Erstzulassung bestehen. Eine konkrete Einschränkung der Eignung des Fahrzeuges zur üblichen Verwendung durch standzeitbedingte Mängel wurde vom Kläger nicht geltend gemacht. Die Rückabwicklung wurde deshalb abgelehnt. Kurzfassung 1. Die Herstellergarantie ist bei einem Gebrauchtfahrzeug ein wertbildender Faktor. Besteht die zugesagte oder übliche Herstellergarantie nicht, liegt jedenfalls dann ein zum Rücktritt berechtigender Sachmangel vor, wenn die fehlende Garantiezeit erheblich ist.2. Standzeiten vor der Zulassung von mehr als 12 Monaten begründen bei Neufahrzeugen und Jahreswagen einen Sachmangel. Auf ältere Gebrauchtfahrzeuge lässt sich diese Wertung nicht allgemein gültig übertragen, da Alterungsprozesse durch lange Standzeiten mit der Dauer der Zulassung und zunehmender Laufleistung hinter die gebrauchsbedingte Abnutzung zurücktreten.3. Bei einem mehr als 2 Jahre zugelassenen Gebrauchtfahrzeug mit einer Laufleistung von knapp 40.000 km stellt eine Standzeit von 19,5 Monaten vor Erstzulassung keinen Sachmangel dar. Kommentar An die besprochenen Entscheidungen des BGH knüpfen sich interessante Fragen an. Beispielsweise ob der Kunde auch nach Ablauf der erwarteten Garantiezeit vom Gebrauchtwagenkaufvertrag zurücktreten kann, wenn gar kein der Garantie unterfallender Reparaturbedarf angefallen ist und sich der "Mangel" gar nicht ausgewirkt hat. Oder ob zur Abwendung des Rücktritts "Nacherfüllung" möglich ist durch Übernahme einer eigenen Garantie des Händlers oder durch Abschluss einer gleichwertigen Garantieversicherung. Oder wäre bei den Standzeiten anders zu entscheiden, wenn das Fahrzeug darüber hinaus mit besonderen Anpreisungen zum Fahrzeugzustand beworben wurde?Es gibt also noch genug Stoff für weitere Urteile. Zu beachten ist aber, dass auch die vorliegenden Entscheidungen des BGH nicht schablonenhaft übertragbar sind. Sie geben jedoch die maßgeblichen Entscheidungskriterien an die Hand, deren Ergebnis bei Anwendung auf andere Sachverhalte in jedem Einzelfall zu prüfen ist.Rechtsanwalt Robert Glocker

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