Lieferengpässe bei Vorleistungen: Handel drohen Umsatz- und Ertragsverluste

Mittlerweile sind nicht nur Lieferengpässe bei Halbleitern offensichtlich - auch bei anderen Vorleistungen, Bauteilen und Rohstoffen häufen sich Meldungen zu Lieferverzögerungen. Während bei Halbleitern Coronabedingt einerseits zu vorsichtige Bestellkontingente der Automobilhersteller bereits im vergangenen Jahr sowie andererseits Nachfragesteigerungen in anderen Industriezweigen zu Engpässen bei der Fahrzeugproduktion geführt haben, lassen sich für andere Vorleistungen und Rohstoffe auch andere Gründe anführen: So sind mittlerweile auch Stahl, Aluminium und Kupfer knapp. Zur Knappheit tragen Corona-bedingte Produktionsausfälle an den Entstehungsorten genauso bei wie Transport- und Logistikprobleme, die anhand leerer und halbvoller Container an den Umschlagplätzen sichtbar werden. Anfällige Produkte Anfällig für lange Lieferzeiten sind aufgrund der Halbleiter nicht nur Elektrofahrzeuge, die sowohl bei der Ansteuerung des Antriebs als auch für weitere Applikationen für Fahrerassistenz- und Kommunikationssysteme verstärkt auf Halbleiterelemente angewiesen sind. Auch Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor weisen mittlerweile hohe Elektronik- und Halbleiteranteile auf, wodurch sich auch in diesem Bereich die Liefersituation verschärft. Lieferzeiten - mehr als ein Jahr keine Seltenheit Klassischerweise waren in der Vergangenheit - also in der Prä-Corona-Zeit - Lieferzeiten von bis zu zwei Monaten üblich, wenn das einzelne Fahrzeug kundenspezifisch konfiguriert wurde. Die Lieferzeiten für einzelne Modelle - sofern nicht noch Lagerfahrzeuge zur Verfügung stehen (das dürfte aber aktuell in den seltensten Fällen möglich sein - liegen bei batterieelektrischen Fahrzeugen dem gegenüber aktuell bei drei Monaten und mehr - teilweise bei bis zu zwölf oder 14 Monaten. Dennoch existieren große Unterschiede: So sind Fahrzeuge des Volvo-Ablegers Polestar wohl noch innerhalb einer vierteljährigen Lieferzeit lieferbar, während Premiumhersteller wie Mercedes-Benz oder Audi bei einzelnen Fahrzeugen sogar zwölf- bis 14-monatige Lieferzeiten aufrufen. Einzelne Modelle sind aktuell sogar überhaupt nicht lieferbar und wurden von betroffenen Herstellern auch aus dem Programm genommen. Vielschichtige Problematik Die Problematik langer Lieferzeiten aufgrund der Halbleiter-Problematik könnte sich im Herbst 2021 bis weit ins Frühjahr 2022 verschärfen. Eine weitreichende Entspannung auf den Zuliefermärkten ist für solche Bauteile im ersten Halbjahr 2022 nicht erwartbar. Leider ist eine dynamische Skalierbarkeit der Produktion von Halbleiterelementen in greifbarer Nähe. Der Aufbau von Fertigungsanlagen ist zeitaufwändig. Dabei steigt die Nachfrage nach solchen Bauteilen stetig und progressiv an, denn auch andere Branchen - bspw. Unterhaltungselektronik, medizinische Geräte etc. - benötigen verstärkt solche Bauteile. Aktuell werden nicht zuletzt deswegen weltweit Produktionskapazitäten für Halbleiterelemente aufgebaut - auch in Europa. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Engpässe ab 2022 sukzessive auflösen - wenngleich nicht gänzlich. Bei anderen, vorrätigen Vorprodukten und Rohstoffen, die zwar vorhanden sind, allerdings aufgrund von Logistik- und Transportproblemen aktuell nicht lieferbar sind, dürfte sich die Situation dagegen bis ins Frühjahr wieder entspannen. Die Preise für solche Lieferumfänge - und damit die Endkundenpreise - werden aber aufgrund der Knappheit bis dahin sowie auch darüber hinaus aufgrund spekulativer Verhaltensweisen auf den relevanten Märkten steigen. Möglicherweise werden vor diesem Hintergrund Hersteller und Zulieferer hinsichtlich ihrer Just-in-Time- und Just-in-Sequence-Strategien zum Umdenken genötigt und Lager für relevante Bauteile aufbauen, um zumindest in Extremsituationen lieferfähig zu bleiben. Wertschöpfungsarchitektur unter Druck Die deutsche Automobilindustrie befindet sich trotzdem aktuell in einer komfortablen Situation mit vollen Auftragsbüchern. Allerdings könnten weitere Lieferverzögerungen zu kostspieligen Produktionsausfällen führen. Zu berücksichtigen ist, dass nicht nur Automobilhersteller unter dieser Situation mit Lieferengpässen leiden, sondern insbesondere auch die Zulieferer und der Automobilhandel. Denn Zulieferer können bei spezifischen Abhängigkeiten zu Vorlieferanten ihre Produkte nicht fertigen und - sofern keine Abhängigkeiten zu Vorprodukten bestehen - dennoch ihre Abnehmer auf der Herstellerebene bei Produktionsstopps nicht beliefern. Neuzulassungen 2021 und 2022 Die Neuzulassungen dürften sich auf Basis der dargestellten Situation für das Gesamtjahr 2021 auf rund 2,750 Millionen Neuwagen - also ein Minus von rund sechs Prozent gegenüber 2020 sowie ein Minus von rund 24 Prozent gegenüber 2019 - einpendeln. Die Lieferproblematik könnte sich vor allem im ersten Halbjahr 2022 auf die Neuwagenauslieferungen auswirken. Das Niveau dürfte dann etwa 13 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2021 liegen. Insgesamt könnte danach die Produktion im zweiten Halbjahr 2022 wieder Boden gutmachen, wodurch die Gesamtzulassungen im kommenden Jahr auf ähnlich hohem Niveau wie 2021 liegen könnten - sofern sich die Belieferungssituation der Hersteller und Zulieferer wieder stabilisieren kann. Auswirkungen auf den Handel Für die Handelsebene stellt sich darüber hinaus die Situation wie folgt dar: - Händler können bereits bestellte Fahrzeuge nicht ausliefern - sie generieren eben erst bei Auslieferung Umsatz und Ertrag. - Gleichzeitig verlagert sich die Nachfrage verstärkt auf den Gebrauchtwagenmarkt, der allerdings angebotsseitig deutlich zusammengeschrumpft ist. Für Händler kann die Rückläufigkeit bei den Neuzulassungen massiv zu Umsatz- und Ertragsverlusten führen. So ist der Neuwagenumsatz im Handel bereits 2020 von 73,43 auf 62,86 Milliarden Euro - also um 14,4 Prozent - gegenüber 2019 zurückgegangen (ZDK). Das Jahr 2021 könnte umsatz- und ertragsseitig nochmals Einbrüche bewirken, sodass der Gesamtumsatz im Neuwagenhandel auf unter 60 Milliarden Euro fiele. Zwar können Absatzrückgänge möglicherweise durch höhere Erträge beim einzelnen Fahrzeug ausgeglichen werden, denn es gelingt aktuell, das Nachlassniveau im Neuwagenbereich - teils deutlich - zu reduzieren. Durch die Knappheit lassen sich darüber hinaus die Gebrauchtwagen aufgrund der Angebotsknappheit mit höheren Deckungsbeiträgen vermarkten - allerdings möglicherweise zu wenige Fahrzeuge. Ob dies insgesamt zur Kompensation der Verlustsituation im Handelsbereich ausreichen kann, bleibt fraglich. Sollte die Situation auf beiden Märkten noch über das nächste Halbjahr hinaus Bestand haben, könnte dies zu einer ruinösen Spirale auf der Handelsebene führen. Kurzfassung Für Händler kann die Rückläufigkeit bei den Neuzulassungen massiv zu Umsatz- und Ertragsverlusten führen. Zwar können Absatzrückgänge möglicherweise durch höhere Erträge beim einzelnen Fahrzeug ausgeglichen werden; ob dies zur Kompensation der Verlustsituation ausreichen kann, bleibt aber fraglich. Sollte die Situation noch über das nächste Halbjahr hinaus Bestand haben, könnte dies zu einer ruinösen Spirale auf der Handelsebene führen. Prof. Dr. Stefan Reindl ist Professor für Automobilwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt sowie Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA).

Chery: So erfolgt der Deutschland-Start 2025

Forum Automotive: Branchenwandel als Chance nutzen

Hyundai Ioniq 9: Dieses große E-SUV kommt nach Europa

Fahrzeugschaden in der Waschanlage: BGH-Urteil "richtungsweisend"

ZDK-Krise: Einheit macht stark, Zwietracht schwächt

Alle Schlagzeilen

Lieferengpässe bei Vorleistungen: Handel drohen Umsatz- und Ertragsverluste

HASHTAG

#Chipkrise

Steigender Bedarf: Mehr Autobauer werden eigene Chips entwickeln

Fahrassistenz-Tochter: Intel kündigt Mobileye-Börsengang an

ID-Elektromodelle für China: VW senkt Absatzziele

MEISTGELESEN

Sternauto: Größter BYD-Store in Deutschland eröffnet

Dacia: "Wir erobern von anderen Marken"

Mercedes zeigt neuen Benzinmotor: Es wird noch verbrannt

STELLENANGEBOTE

Werkstattmeister Karosserie (m/w/d)

Finanz- oder Bilanzbuchhalter (m/w/d)

Juniorverkäufer (m/w/d)

Leiter IT (w/m/d)

Servicetechniker (m/w/d)

WEITERLESEN

NEWSLETTER