Ifa Kongress 2014: Digitaler Druck

Mit welcher Wucht das Internet ganze Branchen verändern kann, haben Musikmanager schmerzlich am eigenen Leib erfahren. Griffen früher Popmusik-Fans ins Vinyl-, Kassetten- oder CD-Regal, braucht es heute nur noch wenige Klicks. Ganz einfach und bequem vom heimischen Sofa aus gelangen die gewünschten Alben auf Notebooks, Tablets oder Smartphones. Den Gang in den Plattenladen, der heute vielleicht Sound-Store hieße, machen beliebte Online-Kaufhäuser wie Apples iTunes völlig überflüssig.Was das mit der Automobilindustrie und dem -handel zu tun hat? Eine Menge, würden die meisten Experten sicherlich getrost antworten, die Mitte Oktober auf dem IFA Kongress 2014 in Nürtingen über "Future Retail: Wie erreichen wir den Kunden von morgen?" diskutierten.Denn die Digitalisierung, auch die des Automobilvertriebs, wird einige bewährte Denkmuster über den Haufen werfen. Und der Handel? Er muss sich gewaltig verändern, damit er künftig bei den bestens informierten Kunden präsenter ist. Demnach verwundert es kaum, dass es nicht lange dauerte, bis Luca de Meo als erster Kongress-Referent das D-Wort in den Mund nahm. Digitalisierung - der rote Faden des 15. Tags der Automobilwirtschaft. In der Autobranche finde derzeit der "größte Umbruch in der Geschichte" statt, erklärte der Vorstand Marketing und Vertrieb bei Audi. "Unser Business wird sich in den nächsten zehn Jahren stärker ändern als in den letzten 30 Jahren", prophezeite der Automanager vor den rund 500 Teilnehmern.Dabei identifizierte de Meo drei globale Megatrends: Urbanisierung, Digitalisierung und Vernetzung. Ohne hier den Handel aus dem Blick zu verlieren. So hob de Meo die Bedeutung der weltweit 2.900 Audi-Verkaufsstützpunkte hervor. "Der Handel ist und bleibt das Herz unseres Vertriebs", sagte er auf dem Podium in Nürtingen.Und Luca de Meo ging noch einen Schritt weiter: Um auf den rasanten Mobilitätswandel reagieren zu können, müssten die traditionellen Autohaus-Aktivitäten weiterentwickelt und mit neuen Technologien sinnvoll ergänzt werden. "Wir brauchen verschiedene Handelsformate für verschiedene Bedürfnisse." Audi unterstütze die Händler mit neuen Technologien, wo immer sie diese benötigten. Etwa durch den Einsatz von Tablets für das Konfigurieren der Premium-Fahrzeuge. "2015 starten wir den flächendeckenden Roll-out im Handel."Schwieriges Jahr 2015Wobei 2015 für die heimischen Handelsbetriebe kein leichtes Jahr werden dürfte. IFA-Direktor und Moderator Prof. Willi Diez prognostizierte ein "schwieriges Autojahr in Deutschland". Wenngleich er nicht den großen Absturz erwarte. Will heißen: 2,9 Millionen Neuzulassungen - verglichen mit knapp über drei Millionen Einheiten in diesem Jahr. "Was mir Sorge macht, ist das relativ schwache Privatkundengeschäft", erklärte Diez. Und die vielen Eigenzulassungen der Hersteller. Sein Appell: "Lieber ehrliche 2,9 Millionen Neuzulassungen als manipulierte drei Millionen." Man denke nur an die Restwerte.Auch laut Jürgen Karpinski, neuer Präsident des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK), dürfte der Markt kommendes Jahr an der Drei-Millionen-Marke kratzen. "Das laufende Jahr wird noch zufriedenstellend, 2015 könnte es mit rund 2,95 Neuzulassungen etwas niedriger werden", sagte der Chef von Autoschmitt in Frankfurt am Main.Also alles keine leichten Voraussetzungen, um auf der digitalen Schiene neu durchzustarten. Doch der ZDK-Präsident machte den anwesenden Händlern Mut und versuchte, die Chancen der Digitalisierung aufzuzeigen. "Den Kunden von heute kennen wir. Den Kunden von morgen kennen wir nicht - noch nicht." Ein Kommunikationsweg neben dem persönlichen Gespräch im Schauraum: das Internet. Hier seien die Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft. "Der Automobilhandel von heute und morgen darf keine internetfreie Zone sein", so Karpinski. Allein der Kunde entscheide über den Weg der Kommunikation mit dem Handel.Droht die Amazonisierung?Dass sich der Automobilhandel weiterentwickeln muss, machte auch Tonio Kröger, CEO und Chairman der DDB Group Germany, deutlich. Und dies ziemlich schnell. Man stehe erst am Anfang des digitalen Zeitalters - mit den sogenannten Digital Natives als Zielgruppe von morgen. Zumal die "Amazonisierung des Autohandels" den Präsenzhandel gefährden könne. Diese These stellte der Werbeprofiauf dem IFA Kongress in den Raum. Das Autohaus wird reduziert auf eine margenschwache Auslieferungsstätte mit angeschlossener Werkstatt?Diesem Szenario, mit dem DDB-Manager Kröger gegen Ende des Kongresses gekonnt zum Nachdenken animierte, wurde in den meisten Vorträgen widersprochen - und eine Lanze für den stationären Handel gebrochen. Nicht nur von ZDK-Präsident Karpinski, wie in seiner Funktion erwartet, sondern unter anderem auch von Vertretern der Autobauer Ford, Opel und Porsche."Der Handel spielt weiterhin eine zentrale Rolle", sagte Raymond Damerow. Der Direktor Verkauf Ford-Werke gab damit ein klares Bekenntnis zum Präsenzhandel ab. Natürlich wissen die Kölner auch, dass die Kaufprozesse immer schneller werden und die Interessenten dabei immer seltener die Kfz-Betriebe aufsuchen. Doch Ford begreift das Internet als Chance. Wichtig sei die Durchgängigkeit vom Hersteller zum Handel und eine Verzahnung der Medienkanäle. Wiedererkennung, Markenbotschaften und Adressqualität waren weitere Stichpunkte des Vortrags. Vom Web in den Showroom, lautet schlicht die Devise. "Wir drängen stark auf Digitalisierung", betonte Damerow. Deshalb müssen die Ford-Händler beispielsweise einen Mitarbeiter zum Internetverantwortlichen schulen.Gesicht zum KundenBei all den Chancen, die die Digitalisierung im Kaufprozess und beim direkten Austausch mit dem Kunden bietet, stößt das Internet naturgemäß an seine Grenzen. "Der Handel ist als persönlicher Ansprechpartner für den Kunden unverzichtbar", meinte Peter Christian Küspert, Geschäftsführer Verkauf und Aftersales bei Opel. Gerade die in der Vergangenheit arg gebeutelte Marke mit dem Blitz muss bei ihrer Aufholjagd auf den direkten Kontakt mit dem Kunden bauen können - und auf Händler mit dem richtigen "Spirit". Küspert: "Opel war am Rande der Irrelevanz." Die Zusammenarbeit mit dem Handel verglich er mit einem Teamsport wie Fußball. Modellund Motorenoffensive, Markenimage sowie Marktdurchdringung - mit diesen drei Schwerpunkten wollen die Rüsselsheimer schnell wieder in die Erfolgsspur zurückfinden.In dieser befindet sich aktuell ein Sportwagenbauer aus Zuffenhausen: Porsche. Deutschland-Chef Klaus Zellmer ging in seinem Referat neben der Digitalisierung und Premium als Lebensgefühl auch auf die große Bedeutung der Betreuungsqualität ein. "Der Handel ist im Premiumsegment unverzichtbar." Bei Porsche müsse das Erlebnis über das Produkt hinausgehen, die Menschen hinter den Prozessen seien die Erlebnistreiber. Eines von Zellmers Beispielen aus der Praxis: der Porsche-Concierge am Point of Sale, der den anspruchsvollen Kunden von heute und morgen aufmerksam hilft. Eine reine digitale Betreuung - undenkbar.Aber nicht nur im Premiumsegment, auch bei der aufstrebenden spanischen Marke Seat führt am professionell aufgestellten Vertriebsnetz kein Weg vorbei. "Der Hauptschlüssel für weitere Erfolge ist unser Vertrieb. Wir brauchen starke Händler", machte Seat-Chef Jürgen Stackmann deutlich. Mit einer neuen Corporate Identity soll die nahe Zukunft beschritten werden. Die VW-Tochter hatte diese den Partnern kürzlich präsentiert, Stackmann war von der positiven Resonanz angetan. "Wir haben dramatisch mehr freiwillige ungestützte Nachfrage als gedacht. Unsere Partner wollen investieren." Das gelte selbst für Autohäuser aus den südeuropäischen Krisenmärkten.Kunde im MittelpunktWie beurteilte der Handel auf dem IFA Kongress den großen Branchenumbruch? Welche Ideen präsentierten die anwesenden Chefs der großen Autohaus-Gruppen auf dem Händlerforum? Jürgens-Geschäftsführer Franco C. Barletta stellte sein neues JES-Konzept für eine Service-Submarke (siehe Seite 26 bis 28) vor, mit dem er nachhaltig Kunden binden möchte. Ferner referierte Rudolf Wohlfarth über Kundenorientierung und Mehrmarkenhandel. Dabei hob der Sprecher der Geschäftsführung der Emil Frey Gruppe Deutschland dezidiert die Vorteile der Markenvielfalt hervor und rückte den Autokäufer in den Mittelpunkt. Wohlfarth: "Das wichtigste Gut ist der Kunde."Und der scheint seine Gewohnheiten zu ändern. Nicholas J. Dunning, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Gottfried Schultz, erinnerte in der Diskussion mit IFA-Studiendekan Prof. Stefan Reindl daran, dass die Selbstverständlichkeit der Kundenloyalität nicht mehr gegeben sei, diese müsse man sich ständig verdienen. "Wir müssen da sein, wo der Kunde ist", so Dunning. Heißt im Umkehrschluss: auch im Netz - bereits der wichtigsten Informationsquelle für potenzielle Käufer.Dort hinterlässt der Kunde dann Klick für Klick Spuren. Stichwort: intelligentes Datenmanagement, um Karl-Heinz Mustermann gezielt erreichen und ansprechen zu können. "Daten werden für die Autobranche künftig eine wertvolle Währung werden", erklärte Audi-Vorstand de Meo. Eine treffende Aussage, allerdings vor wenigen Jahren auf einem Automobil-Kongress noch völlig undenkbar.Neues Trainee-Programm: Mehr Akademiker für AutohändlerQualifizierte Führungskräfte zu gewinnen, ist eine der großen Herausforderungen für den Autohandel. Einen neuen Ansatz verfolgt jetzt das Institut für Automobilwirtschaft (IFA) an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU). Zusammen mit der Wellergruppe, Dürkop und Dello starten die Wissenschaftler jetzt das "Top Dealer Trainee"-Programm. Es soll mehr Akademiker für den Autohandel begeistern. Initiator Prof. Willi Diez: "Der Autohandel hat ein Imageproblem. Viele Absolventen zieht es nach dem Studium zu einem großen Autobauer, weil sie dort bessere Karrierechancen sehen." Mit den Trainee-Programmen der Industrie könnten sie ihren beruflichen Erfahrungskreis erweitern. Der Handel dagegen biete vergleichbare Angebote noch nicht.Genau hier setzt das neue Programm an. Ab dem 1. April 2015 werden die drei Pilotgruppen jeweils einen HfWU-Absolventen anstellen und ausbilden. Im Laufe eines Jahres wird der Trainee alle relevanten Geschäftsfelder des Autohauses kennenlernen und hier aktiv mitarbeiten. Dabei wechselt er alle vier Monate in die anderen teilnehmenden Betriebe. Zudem bearbeitet die Nachwuchskraft unter Anleitung des IFA Projekte für seinen Arbeitgeber. Ziel sei eine Festanstellung, betonte Diez.Dürkop-Vorstandsvorsitzender Stefan Quary verspricht sich von den Trainees vor allem neue Ideen für die künftige Ausrichtung des Verkaufsgeschäfts: "Wir alle wissen, dass die Zukunft im Handel in der intelligenten Verknüpfung von Off- und Online-Vertrieb liegt. Dazu brauchen wir Köpfe, die in dieser Welt aufgewachsen und ausgebildet worden sind."Burkhard Weller, Chef der Wellergruppe, hat bereits zahlreiche HfWU-Absolventen an Bord geholt. Er zeigte sich daher zuversichtlich, dass er über das neue Programm weitere qualifizierte und motivierte Mitarbeiter rekrutieren kann. "Das Programm wird uns zeigen, ob ein Jung-Akademiker das Zeug zur Führungskraft bei uns hat." Beide Autohauschefs betonten, dass das Trainee-Programm eine "sinnvolle Ergänzung" zu den eigenen Akademien sei.Diez hofft, künftig weitere Autohäuser für die neue Brancheninitiative gewinnen zu können. Gespräche mit potenziellen Partnern laufen bereits. rpIdeen-BörseMitte Oktober fand in Nürtingen der diesjährige IFA Kongress statt. Bestandteile des Branchentreffs waren neben dem 15. Tag der Automobilwirtschaft die Unternehmenskontaktmesse Automotive TopCareer sowie der IFA Business Talk als Vorabendevent. Zeit also, sich intensiv auszutauschen und Kontakte zu knüpfen oder vertiefen.

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