"Über Pferdestärken und Motor-Charisma kann sich ein Autohersteller im beginnenden E-Zeitalter kaum mehr von der Konkurrenz abheben. Wohl aber über Innenraumvariabilität und -komfort", sagt Christoph Maag, Leiter Elektronik beim Zulieferer Brose. Und glaubt, für diesen Zweck das passende Produkt im Angebot zu haben. Das Mechatronik-Unternehmen aus Coburg wird mit seinem "Brose Acess and Interior Network" (BRAIN) dafür ein Stück weit zur Software-Schmiede.
Traditionell ist Brose vor allem dafür verantwortlich, dass sich im Auto etwas bewegt. Die Franken stellen unter anderem die kleinen E-Motoren her, mit denen sich Sitze in Position fahren, Türen öffnen oder sonstige bewegliche Teile im Innenraum ihre Aufgaben erledigen, wenn der Fahrer den entsprechenden Knopf drückt. Künftig kann er sich das im besten Fall jedoch sparen, denn der Innenraum orchestriert sich dann selbst. Genau das ist die Aufgabe von „Brain“. Die neuartige Steuerungs-Software soll Autoherstellern helfen, eine neue Funktionsvielfalt in den Autoinnenraum zu bringen.
"Die Differenzierung der Autohersteller gegenüber den Wettbewerbern läuft immer stärker über den Komfort im Fahrzeug", sagt Maag. Das fängt schon beim Fahrzeugzugang an: Etwa, wenn Seitentüren bei Annäherung automatisch öffnen und den Zugang in den flexibel orchestrierbaren Innenraum freigeben. "Brain" soll aber noch viel mehr Komfort ermöglichen als ein simpler Türöffner – und zwar durch die intelligente Vernetzung und Steuerung von Türen, Sitzen, Fenstern, Klimaanlage, Ambiente-Licht und Entertainmentfunktionen.
Maag demonstriert an einem zu Präsentationszwecken gebauten Showcar beispielhaft, was alles geht. So lässt sich etwa per Smartphone-App, Sprachbefehl oder Knopfdruck automatisch der Laderaum maximieren. Während der Fahrer nach dem Einkauf im Selbstmontage-Möbelhaus noch die Transportkarre Richtung Auto schiebt, fährt die Rückbank in Position, klappen sich die Lehnen um und schiebt sich der Beifahrersitze platzsparend nach vorne. Theoretisch könnte sich die Mechanik dabei auch an der Größe der konkreten Einkäufe orientieren – denkbar ist etwa eine App, die die Möbel-Pakete vermisst und mit dem Fahrzeug schon während des Bezahlvorgangs an der Kasse über die optimale Sitzkonfiguration korrespondiert. Kommt der Fahrer am Auto an, muss er nur noch einladen und losfahren. Das umständliche Rücken und Verstellen hat das Auto dann schon selbst übernommen.
Unendlich viele mögliche Funktionsvarianten
Die Zahl möglicher Funktionsvarianten ist fast unendlich. "Was genau der Autohersteller will, definiert er natürlich selbst", erläutert Maag. Ob sich sein Fahrzeug morgens automatisch zum bequemen Viersitzer für die gemeinsame Fahrt ins Büro konfiguriert oder nachmittags den Mittelsitz wieder hervorzaubert, um die Kinder aus der Schule abzuholen. Beides lässt sich mit "Brain" komfortabel personalisieren. "Unsere Software ist sowohl mit unseren eigenen Komponenten als auch mit Produkten von Drittanbietern kompatibel", so Maag. Sie passt sich zudem problemlos in die Middleware-Strukturen aller Autohersteller ein.
Nicht nur die leichte Integrierbarkeit sieht Maag als wichtiges Verkaufsargument. Auch die simple Programmierung soll die Industrie überzeugen. Neue Funktionen lassen sich über eine mitgelieferte Programmierschnittstelle samt passender Cloud schnell und einfach ergänzen. Und das ohne tiefere Programmierkenntnisse, so dass der Hersteller keine teuren Software-Experten aus anderen Entwicklungsabteilungen abberufen muss. Die eingepflegten Funktionen können als Serien- oder Optionsausstattung angeboten werden oder in Form zeitlich begrenzter Abos. Gerade letzteres ist ein aktuell immer beliebteres Geschäftsmodell bei Autoherstellern.
Auf mittlere Sicht sind zahllose weitere Anwendungen denkbar. Bis hin zu autonom fahrenden Autos, die den Innenraum passend zu den aktuellen Anforderungen der Insassen vormöblieren – etwa zu einer Sitzgruppe für die ganze Familie, eine Ruhelounge oder ein rollendes Büro. Entweder auf Knopfdruck oder dank künstlicher Intelligenz in vorauseilendem Gehorsam. Ob im privat besessenen Auto oder einem Shared-Mobility-Fahrzeug. Wichtig sei nur, dass sich der Fahrer sofort zuhause fühlen könne, so Maag. Aktuell führt Brose Gespräche mit Autoherstellern über die Lizensierung der Software. Ab 2026 könnten die ersten Fahrzeuge mit dem Brose-Hirn auf der Straße sein.
Bernd Jürgen Ulrich