Corona-Krise: Betriebsbedingte Kündigung

Die Coronakrise hinterlässt Spuren in allen Bereichen der Wirtschaft. Betroffen sind Industrie, Handel wie auch Dienstleister. Die von der Bundesagentur für Arbeit im März 2021 veröffentlichte jüngste Arbeitsmarktstatistik berichtet für den zeitlichen Bezugspunkt Januar 2021 von 186.000 weniger sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten gegenüber dem Vormonat und von 96.000 weniger sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten gegenüber dem Vorjahresmonat. Bei den geringfügig Beschäftigten beläuft sich das Minus für den Vormonat auf 140.000 Beschäftigte und für den Vorjahresmonat auf gar 560.000 Beschäftigte. Der Beschäftigungsrückgang liegt einerseits daran, dass befristete Arbeitsverträge auslaufen und dass keine Verlängerungen/Neueinstellungen vorgenommen werden. Dies liegt zum anderen aber auch daran, dass trotz Kurzarbeit Arbeitsplätze mittels betriebsbedingter Kündigungen und Aufhebungsvereinbarungen in der andauernden Corona-Pandemie aktiv abgebaut werden. Betriebsbedingte Kündigung Wiederholt ist die Meinung zu hören, eine betriebsbedingte Kündigung sei während der Corona-Pandemie nicht zulässig; schließlich sei für eine zulässige betriebsbedingte Kündigung der endgültige Wegfall eines Arbeitsplatzes erforderlich und bei der Corona-Pandemie handele es sich um eine nur vorübergehende Erscheinung. Diese Meinung ist allerdings so nicht zutreffend. Richtig ist, dass im Geltungsbereich des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG (KSG) eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung grundsätzlich dann sozial gerechtfertigt ist, wenn sie "durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen". Eine solche "Betriebsbedingtheit" liegt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) dann vor, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung eines gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfällt. Nachdem jegliche Kündigung für einen Arbeitgeber die sogenannte "ultima ratio" darstellt, somit das letzte aller arbeitsrechtlichen Mittel, muss der Arbeitgeber alle ihm zumutbaren Möglichkeiten ausschöpfen, um seine Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis zu halten. Es stellt sich deshalb die Frage, ob der Arbeitgeber betriebsbedingte Kündigungen durch den begrenzten Abbau von Urlaub und/oder Arbeitszeitguthaben und insbesondere durch die Einführung von Kurzarbeit verhindern kann. Erst wenn diese Frage mit "nein" zu beantworten ist, ist eine betriebsbedingte Kündigung grundsätzlich zulässig - auch in der Corona-Pandemie. Begründungsanforderungen Betriebsbedingte Gründe für eine Kündigung können sich aus außerbetrieblichen wie auch innerbetrieblichen Umständen ergeben. In Coronazeiten denkt man naturgemäß zuvorderst an außerbetriebliche Gründe wie Auftragsverluste bzw. einen reduzierten Auftragsbestand. Eine solche Behauptung allein genügt allerdings nicht für eine wirksame betriebsbedingte Kündigung. Erst wenn sich aus Auftragsverlust/reduziertem Auftragsbestand ergibt, dass die verbliebene Arbeitsmenge - dauerhaft - zu gering ist, um die vorhandene Anzahl der vorhandenen Arbeitnehmer zu beschäftigen, ist der hierauf begründete Ausspruch einer Kündigung als wirksame betriebsbedingte Kündigung denkbar. Im Kündigungsschutzprozess muss der Arbeitgeber anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen, warum nicht nur eine kurzfristige und vorübergehende Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist. Hierbei kann das Arbeitsgericht in vollem Umfang nachprüfen, ob die außerbetrieblichen Umstände für die Kündigung zum Zeitpunkt eben der Kündigung tatsächlich vorlagen und zu einem dauerhaften Rückgang des Beschäftigungsvolumens führen. Will sich der Arbeitgeber auf solchermaßen außerbetriebliche Kündigungsgründe stützen, treffen ihn also sehr hohe Begründungsanforderungen. Wichtige Besonderheiten - Wenn ein Arbeitgeber Kurzarbeit einführt, gibt er damit gleichzeitig zu erkennen, dass er von einem lediglich vorübergehenden Arbeitsausfall ausgeht. Kurzarbeitergeld wird gemäß § 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III nämlich nur für einen solchen vorübergehenden Arbeitsausfall gewährt. Will der Arbeitgeber nach Einführung von Kurzarbeit eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen, muss er im Streitfall darlegen und beweisen, dass während der Dauer der Kurzarbeit sich die Verhältnisse noch einmal derart verschlechtert haben, dass sie zu einem dauerhaften Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für einen oder mehrere Arbeitnehmer führen; die Begründung für die betriebsbedingte Kündigung darf also nicht deckungsgleich sein mit der Begründung für die Einführung der Kurzarbeit. - Der Bezug von Kurzarbeitergeld wurde (unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben) bis Ende 2021 verlängert. Gleichzeitig sind die Impfungen angelaufen und werden hoffentlich möglichst zügig umfangreich umgesetzt. Es ist nicht absehbar, wie sich in der näheren Zukunft die Auftragslage für die Unternehmen - und damit die Beschäftigungssituation für die Arbeitnehmer - darstellt. Im Zusammenhang mit Vorstehendem ist nicht absehbar, auf welcher Tatsachengrundlage künftige Gerichtsprozesse entschieden werden. - Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses während eingeführter Kurzarbeit - sei dies durch Kündigung oder durch Aufhebungsvereinbarung - endet das Bezugsrecht von Kurzarbeitergeld. Der Arbeitgeber ist ab dem Zeitpunkt des Ausspruchs einer Kündigung bis zum tatsächlichen Ende des Arbeitsverhältnisses zur Zahlung der vollen vertraglichen Arbeitsvergütung wie auch der sich hieraus ergebenden sämtlichen Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet. Hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvereinbarung wird allerdings diskutiert, ob das Arbeitsverhältnis zwischen Abschluss der Aufhebungsvereinbarung und dem faktischen Ende des Arbeitsverhältnisses sich an der Vergütung in Vollzeitbeschäftigung oder an der Vergütung gemäß eingeführter Kurzarbeit orientiert. Es empfiehlt sich bei Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung deshalb bis zur Klärung durch die Rechtsprechung eine ausdrückliche Vergütungsklausel im Vertrag. Beachtung der sonstigen Voraussetzungen Neben vorstehenden erhöhten Begründungsanforderungen sind auch die sonstigen Voraussetzungen für eine betriebsbedingte Kündigung zu beachten: Es darf kein anderer freier vergleichbarer Arbeitsplatz im Betrieb vorhanden sein, auf den der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber versetzt werden könnte. Des Weiteren sind die Grundsätze der Sozialauswahl zu berücksichtigen. Bei der Sozialauswahl sind die Mitarbeiter hinsichtlich der Dauer der Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters, der Unterhaltspflichten und der Schwerbehinderung miteinander zu vergleichen. Der bei diesem Vergleich am wenigsten schützenswerte Arbeitnehmer ist als erster von einer betriebsbedingten Kündigung betroffen. Kurzarbeit: Änderungskündigung vor Beendigungskündigung Wie zwischenzeitlich allgemein bekannt ist, kann vom Arbeitgeber nur dann Kurzarbeit eingeführt werden, wenn der Arbeitnehmer damit einverstanden ist - oder bei Vorhandensein eines Betriebsrats eine entsprechende Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde. Was aber ist, wenn eine Betriebsvereinbarung nicht existiert und sich der Arbeitnehmer individuell weigert, der Kurzarbeit zuzustimmen? Höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu existiert noch nicht. Das Arbeitsgericht Stuttgart hat in seinem Urteil vom 22. Oktober 2020 (Az. 11 Ca 2950/20) entschieden, dass bei einer derartigen Weigerung des Arbeitnehmers und für den Fall eines tatsächlich vorhandenen erheblichen und vorübergehenden Arbeitsausfalls durch den Arbeitgeber eine betriebsbedingte Änderungskündigung ausgesprochen werden kann. Auch hier gilt nach dem "Ultima-Ratio-Prinzip", dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses das letzte aller Mittel sein muss. Dementsprechend: Änderungskündigung vor Beendigungskündigung. Kurzfassung 1. Eine betriebsbedingte Kündigung ist unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG auch während des Laufes der Corona-Pandemie grundsätzlich zulässig - auch im Hinblick auf den zeitlich begrenzten Charakter der Pandemie.2. Es muss die betriebsbedingte Kündigung allerdings nach wie vor die "ultima ratio", somit das letzte aller arbeitsrechtlichen Mittel für den Arbeitgeber sein. Er muss alle Möglichkeiten für den Weiterbestand eines Arbeitsverhältnisses ausnutzen, so auch den begrenzten Abbau von Urlaub und/oder Arbeitszeitguthaben wie auch die Einführung von Kurzarbeit.3. Für die betriebsbedingte Kündigung während der Corona-Pandemie sind insbesondere bei Einführung von Kurzarbeit erhöhte Begründungsanforderungen zu beachten. Die Begründung für die betriebsbedingte Kündigung darf insbesondere nicht deckungsgleich sein mit der Begründung für die Einführung von Kurzarbeit - es muss für diesen Fall vielmehr eine derartige Verschlechterung vorliegen, die zu einem dauerhaften Wegfall des Arbeitsplatzes führt.4. Vom Arbeitgeber kann nur dann Kurzarbeit eingeführt werden, wenn der Arbeitnehmer damit einverstanden ist. Verweigert der Arbeitnehmer diesbezüglich sein Einverständnis, kann nach dem Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 22. Oktober 2020 (AZ 11 CA 2950/20) unter Beachtung der maßgeblichen Voraussetzungen eine wirksame betriebsbedingte Änderungskündigung ausgesprochen werden. Kommentar In vorliegendem Beitrag wurde näher auf die betriebsbedingte Kündigung aufgrund außerbetrieblicher Gründe eingegangen. Unabhängig hiervon kann auch während der Corona-Pandemie eine betriebsbedingte Kündigung aus innerbetrieblichen Gründen ausgesprochen werden. Es bedarf hierfür "lediglich" einer unternehmerischen Organisationsentscheidung etwa der Maßgabe, dass der Arbeitgeber die Anzahl der Arbeitnehmer bestimmt, mithilfe derer die anfallende Arbeitsmenge umgesetzt wird. Auch hier muss allerdings der Arbeitgeber im Streitfall seine Organisationsentscheidung hinsichtlich (so das BAG) "ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen". Der Vorteil gegenüber der Kündigung aus außerbetrieblichen Gründen: Die unternehmerische Organisationsentscheidung ist nach der Rechtsprechung des BAG von den Arbeitsgerichten nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob die Entscheidung "offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich" ist. Auch während der Corona-Pandemie ist das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar für Kleinbetriebe mit nicht mehr als zehn Mitarbeitern. Für Kleinbetriebe stellt sich damit für betriebsbedingte Kündigungen aus außerbetrieblichen oder innerbetrieblichen Gründen die Problematik der hohen Begründungsanforderungen nicht.Rechtsanwalt Rainer Bopp

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