Zinserhöhungen, Rekordinflation und die Angst vor einer drohenden Rezession: Die wirtschaftliche Lage ist derzeit so angespannt wie selten zuvor und entsprechend groß ist der Druck bei den Entscheidern, die weder auf der Stelle treten, noch einen Fehltritt riskieren wollen. Um ein wenig Licht ins aktuelle Dunkel zu bringen, gaben Experten aus verschiedenen Bereichen bei den AUTOHAUS Perspektiven eine Einschätzung ab, was 2023 auf den Handel zukommt. Moderiert wurde die Online-Veranstaltung von AUTOHAUS Chefredakteur Ralph M. Meunzel und Norbert Irsfeld, geschäftsführender Gesellschafter, Prudentes Management GmbH.
Welche Entwicklungen dem Finanzmarkt im kommenden Jahr bevorstehen, erklärte Reinhard Pfingsten, Chief Investment Officer, Bethmann Bank AG. "Die Stimmung ist deutlich schlechter als die Lage", fasst der Finanzexperte die aktuelle Situation zusammen, die aber dennoch nicht weniger ernst sei. Das Geschäftsmodell mit billigen Rohstoffen sei vorbei und "sowohl in Deutschland als auch in den USA werden wir eine Rezession sehen", so Pfingsten.
Automatisierung bis zur Leaderzeugung
Wie man sich ob der Vielzahl an wirtschaftlichen Variablen als Händler aufstellen könne, zeigte anschließend Horst-Dieter Ries, Geschäftsführer Autozentrum Ries GmbH & puls Manufaktur GmbH. Ein Kernelement seiner Unternehmensstrategie für 2023: das Marketing weitestgehend automatisieren, um effizienter mit den verfügbaren Kräften im Autohaus zu haushalten. Der Geschäftsführer hat hierfür unter anderem seinen kompletten Fahrzeugbestand bei Facebook hochgeladen – mit Erfolg: "Seit Juni 1,2 Millionen Impressionen, 120.000 Reichweite sowie 36.000 Leute, die sich auf unsere Website verirrt haben", erklärte Ries, der sich in der Folge über jede Menge Leads-Anfragen für sein Autohaus freuen durfte.
Sebastian Reinemann, Senior Consultant / Account Manager bei der Star Cooperation, sprach sich in seinem Vortrag für eine Digitalisierung mit Augenmaß aus. Klar ist: Daten werden in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen und der Handel muss versuchen, diese Daten in hoher Qualität zu sammeln. Nur so lasse sich daraus in einem zweiten Schritt ein tatsächlicher Mehrwert erreichen. Unabhängig davon, dass an der Digitalisierung im Handel kein Weg vorbeiführe, so Reinemann, sollten insbesondere kleine Händler den Fokus auf die Basics legen und sich fragen: "Wo habe ich Daten, wie kann ich sie speichern und was mache ich damit?" Nicht weniger wichtig als das Sammeln von Daten dürfte die Ressource Arbeitszeit werden. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, der sich mit Blick auf den demographischen Wandel noch weiter zuspitzen dürfte, sprach sich Reinemann für eine Automatisierung der Serviceprozesse aus.
Partnerschaft 2.0
Toyota Deutschland setzt bei der Gestaltung der Zukunft auf die Partnerschaft mit dem Handel. Das bekräftigte Vertriebsleiter Mario Köhler bei den AUTOHAUS Perspektiven. Mit "Partnership 2.0" wolle man im Einklang mit den neuen und sich ändernden Kundenerwartungen ein nachhaltiges Geschäftsmodell für Toyota und die Partner über alle Kundensegmente und Marktkanäle in Deutschland schaffen. Dazu brauche es nicht nur Anpassungsfähigkeit und Vertrauen, sondern auch einen gemeinsamen "Wachstumswillen" und das gemeinsame Ziel, Umsatz und Ertrag zu maximieren, so der Manager. Die Optimierung der Prozesse, die Digitalisierung und Vernetzung sollen helfen, den Autohandel zukunftssicher zu machen. Produkte wie die "Relax"-Garantie könnten Kunden zurückerobern und binden, so Köhler. Eine neue "Frontline" für Kundenkontakte soll die Rollen im Verkauf neu definieren und für bessere Kundeninteraktion sorgen. Auch mit dem neuen Retail-Konzept, das Toyota in den kommenden zwei Jahren ausrollen wird, wolle man das digitale und physische Kundenerlebnis stärken.
Norbert Irsfeld, geschäftsführender Gesellschafter der Prudentes Management GmbH, übernahm in seinem Vortrag die Rolle des Mahners und erläuterte, wie Autohäuser Resilienz entwickeln können, um in den anhaltenden Krisenzeiten zahlungsfähig zu bleiben und nicht selbst in die Krise zu rutschen. Denn anders als im Jahr 2022, das viele Händler noch mit einer anständigen Rendite abschließen könnten, würden 2023 die Kosteneffekte schwer auf das Ergebnis drücken und die Rendite gefährden. Vor allem Autohäuser mit guter Eigenkapitalquote ab 20 Prozent und einer starken Aftersales-Orientierung, hätten gute Chancen, gut durch die Krise zu kommen, sagte der Branchenexperte. Wer darüber nicht verfüge, sollte frühzeitig Kassensturz machen und sich als Unternehmer selbst fragen: Wo stehe ich eigentlich? Mit einem dreistufigen Plan gab Irsfeld den Teilnehmer dazu konkrete Handlungsempfehlungen an die Hand.
Zwischen ambitionierter Wachstumsstrategie und lokaler Kundennähe
Einen Überblick über die Entwicklung der Alphartis SE gab deren CFO Hans-Peter Deuschle. Die Autohausgruppe mit vier Gesellschaften, 48 Standorten und rund 1,2 Milliarden Euro Umsatz ist einer der größten Player im Vertrieb, unter anderem der Marken von BMW und VW. Der Autohandel stehe aktuell im Spannungsfeld zwischen ambitionierter Wachstumsstrategie und lokaler Kundennähe, betonte Deuschle. Eine gewisse Unternehmensgröße sei dabei vorteilhaft, da sie helfe, Synergien zu schaffen, Prozesse zu bündeln und die zunehmende Komplexität des Geschäfts zu reduzieren.
Benjanmin Köhnke, Vertriebsleiter Händlerfinanzierung der BDK Bank Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe, und René Drews, Leiter der Region Nord (Vertrieb), gaben in ihrem Vortrag "Liquidität schützen, unternehmerische Freiheit stärken" einen kurzen Einblick, wie die Händlerfinanzierung mehr Wert schafft. Autohäuser sollten sich unter anderem fragen: Bin ich richtig finanziert? Laufen meine Projekte planmäßig? Habe ich die passenden Finanzierungspartner?
Kundenbindung und Zusatzerlöse mit Elektromobilität
Ein Trend, der sich auch 2023 fortsetzen dürfte, ist die Elektromobilität. Für den Handel bedeuten die wartungsarmen Fahrzeuge vor allem eines: deutlich weniger Umsatz im Aftersales. "Es ist vielleicht so wichtig wie nie, über Zusatzerlöse nachzudenken", brachte Ralph Missy, Founder und CEO von e-mobilio, die angespannte Lage auf den Punkt. Mit der Whitelabel-Lösung des Unternehmens stellte er ein Beratungs-Tool vor, das ohne viel Aufwand in die eigene Händlerseite integriert werden könne und dem Kunden dort die Möglichkeit biete, sich über die einzelnen Komponenten des Elektromobilitäts-Kosmos zu informieren. Wird ein Kauf über e-mobilio getätigt, "verdient man als Händler daran mit", erklärte Missy.
Zuletzt ging Matthias Kühne, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, auf Haftungsrisiken und Handlungspflichten für Geschäftsführer ein. Ein Thema, mit dem sich "Unternehmen oftmals zu spät beschäftigen", wie der Jurist unterstrich. "Unwissenheit schützt nicht".