Fortbildung: Auf Lernreise

Gemächlich wiederkäuend und mit einem guten Schuss Desinteresse in den großen Glubschaugen stehen die schwarz und braun gefleckten Milchkühe hinter ihrem Gatter auf der Weide des Milchhofs Große Kintrup in Münster. Warum auch sollten sie wegen dem halben Dutzend Besucher vor ihnen aufgeregt sein? Die Fremden gehören offensichtlich nicht zum Hof - es geht deshalb weder zur Melkmaschine, noch ist Futter zu erwarten. Die Besucher sind auch keine Touristen, sondern kommen von der Autohaus-Gruppe Beresa und sind dienstlich unterwegs. Aber nicht, um Fahrzeuge an den Mann zu bringen, sondern um zu lernen. "Es geht darum, das Geschäftsmodell des Milchhofs zu verstehen und zu beobachten, was er besser kann als wir. Danach schauen wir, was davon auf uns übertragbar ist", erklärt Beresa-Geschäftsführer Thomas Ulms. Der Milchhof ist nicht zufällig gewählt: Das Unternehmen hat sich entschlossen, seine Produkte direkt an die Endkunden zu vermarkten, um dem ruinösen Preiskampf in den Supermärkten zu entkommen. Damit die Kunden die dadurch höheren Preise akzeptieren, hat der Betrieb seine komplette Produktion transparent gemacht und für Besucher geöffnet. Seitdem geht es dem Betrieb besser als je zuvor. Das zeige, dass Kunden höhere Preise akzeptieren, wenn man ihnen anschaulich erklärt, wie sie zustande kommen, sagt Ulms. Das sei eins zu eins auf den Servicebereich übertragbar, für den hochqualifiziertes und entsprechend gut bezahltes Personal nötig ist. Das Ziel: Ein Kulturwandel Besuche wie am Milchhof sind Teil des Beresa-Projekts "Become". Es steht für "Best Customer Experience" und dient dazu, bei der Autohaus-Gruppe einen Kulturwandel einzuleiten. Seit zwei Jahren organisiert ein Projektteam bei Beresa immer wieder solche "Lernreisen". Dabei besuchen kleine Gruppen von Mitarbeitern junge Unternehmen aus der Region, die mit neuen Geschäftsmodellen erfolgreich am Markt agieren, sowie alte Unternehmen, die sich neu erfunden haben. "Wir sind ein über 100 Jahre altes, manchmal konservatives Unternehmen. Unsere Konkurrenten sind in Zukunft aber provokative Start-ups. Darauf müssen wir uns einstellen", sagt Ulms. Mit den Lernreisen gelinge es, die Mitarbeiter auf diesem Weg mitzunehmen und neue Ideen zu sammeln. Die Idee für Become stammt von Daimler - "Best Customer Experience" ist eine Vertriebs- und Marketingstrategie von Mercedes-Benz Cars. Dort gibt es zudem bereits seit einigen Jahren das Qualifizierungsprogramm C-Management für Autohaus-Führungskräfte. Dessen Teilnehmer unternehmen während des Programms ebenfalls eine Lernreise, beispielsweise in einen Nike- oder Apple-Store, um dort neue Möglichkeiten des Vertriebs kennenzulernen. Auf-,g Vertriebs kennenzulernen. Auff grund der guten Erfahrungen fiel bei Daimler der Entschluss, das Konzept auch in Autohäusern auszurollen. Da Ulms das Programm bereits durchlaufen hat, stieß Daimler sofort auf offene Ohren. Gemeinsam rekrutierten Daimler und der Beresa-Geschäftsführer daher im Anschluss aus der Belegschaft das Projektteam. Es hat die Planungshoheit und besteht aus zehn Mitarbeitern unterschiedlicher Standorte, Hierarchieebenen und Aufgabenbereiche. Als Erstes legten die Teammitglieder acht Zukunftsthemen fest (siehe Kasten). Danach suchte das Team regionale Unternehmen, die je eines der Themen idealtypisch umsetzen, gewann sie als Partner für das Projekt und konzipierte die Lernreise. "Wir hätten nicht mit so vielen positiven Rückmeldungen auf unsere Anfragen gerechnet", sagt Wiebke Schäfer, die als Teamkoordinatorin für Weiterbildung die inoffizielle Sprecherin des Organisationsteams ist. Pro Lernreise besuchen vier bunt gemischte Teams aus je rund acht Mitarbeitern wie bei einer Schnitzeljagd nacheinander drei Unternehmen. Teams aus Geschäftsführern, Azubis, Verkäufern und Mechatronikern sind dabei die Regel. Das soll zum Austausch anregen und neue Ideen hervorbringen. Jede Gruppe hat zudem ein Roadbook, das ihr als Leitfaden für die Tour dient. Darin befinden sich Fragen, welche die Reisenden bei ihren Stationen durch Gespräche mit Mitarbeitern und Führungskräften beantworten müssen. Vom 3D-Druck-Experten zum Milchhof Beim Milchhof Große Kintrup müssen die Teilnehmer etwa herausfinden, warum sich das Unternehmen für das neue Vertriebskonzept entschieden hat, weshalb es funktioniert und wie es den Angestellten damit geht. An der nächsten Station finden die Teilnehmer dann mit der Firma Urbanmaker ein Beispiel, wie sich ein jahrhundertealtes Geschäftsmodell mit neuen, innovativen Produkten fortführen lässt. So hat sich Urbanmaker von einer herkömmlichen Druckerei zu einem 3D-Druckspezialisten weiterentwickelt, der für Handwerk, Industrie oder Hochschulen individuell maßgeschneiderte Bauteile "druckt". Bei M44, einem Anbieter von Meeting- und Konferenzräumen wiederum ging es darum zu lernen, wie sich mit geschickter Inneneinrichtung die Kreativität steigern und die Gruppendynamik beeinflussen lässt. Um zu den Stationen zu kommen, testen die "Lernreisenden" außerdem verschiedene Mobilitätskonzepte. Während sich manche Gruppen mit der elektrischen B-Klasse auf den Weg machen, nehmen andere die öffentlichen Verkehrsmittel, nutzen Carsharing- und Taxi-Apps oder fahren mit dem Leih-Rad. "Damit wollen wir Denkanstöße geben, wie wir bei Beresa verschiedene Formen der Mobilität für unsere Kunden verknüpfen können", erklärt Schäfer. Am Ende der Lernreise stellen die Teilnehmer dann auf einer Abendveranstaltung den anderen Gruppen ihre Erkenntnisse vor und besprechen ihre Ideen. Rund 100 Mitarbeiter haben an Become mittlerweile teilgenommen. Mit der Resonanz sind Ulms und Schäfer durchweg zufrieden. "Die Teilnehmer haben erkannt, dass Beresa sich wandeln muss, um in Zukunft zu bestehen. Allein damit haben wir schon viel erreicht", sagt Ulms. Darüber hinaus hat die Autohausgruppe im Nachgang einige interne Projekte angeschoben, etwa im Recruiting. Welche das sind, will Ulms allerdings nicht verraten: "Das ist unser Wettbewerbsvorteil. Den nutzen wir, so lange es geht." Kurzfassung Pro Lernreise besuchen jeweils rund acht Mitarbeiter hintereinander drei Unternehmen. Durch Beobachten und Gespräche sollen die Besuchsgruppen herausfinden, wie und warum das Geschäftsmodell der Partner funktioniert und was Beresa davon lernen kann.

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