Von Michael Gebhardt/SP-X
Ein Hemd fürs Büro, die Jeans in der Freizeit oder der Smoking für die Oper – die meisten haben für jeden Anlass das Passende zum Anziehen im Kleiderschrank. Ganz anders sieht es in der Garage aus: Der Wagen, der dort parkt, muss Familientransporter und Stadtauto, Spaßflitzer und Reisekutsche zugleich sein. Nur die wenigsten haben genug Kleingeld auf dem Konto, um sich einen individuellen Fuhrpark zusammen zu stellen. Das könnte sich nach Ansicht von Audi demnächst ändern. Zwar werden die Ingolstädter nicht für schlagartig steigende Gehälter sorgen. Doch sie arbeiten an einem maßgeschneiderten Angebot an Fahrzeugen, die man nicht mehr kaufen muss, sondern bedarfsgerecht mieten kann.
Freilich: Auch heute schon stehen bei den Autovermietungen große Flotten aller Fahrzeugklassen und -gattungen am Hof. Für eine flexible On-Demand-Lösung ist das Mietprozedere aber zu unpraktisch. Die Audi-Vision dagegen sieht eine App vor, über die der Kunde sein Wunsch-Fahrzeug auswählt, das dann zur benötigten Zeit am vereinbarten Ort auf ihn wartet. Und zwar so, wie es vorkonfiguriert wurde: Die Musikbibliothek hat schon die Lieblingslieder geladen, die Klimaanlage sorgt für die Wohlfühltemperatur und der Kindersitz für den Nachwuchs ist auf Wunsch auch an Bord. Die Rückgabe, so Audi, soll ähnlich unkompliziert sein. Eine entsprechende Smartphone-App zu programmieren, dürfte an dem Vorhaben der leichteste Schritt sein, die Logistik dahinter stellt eine weit größere Herausforderung dar.
Dritte Fingerübung
Vor allem aber arbeiten die Ingolstädter Zukunftsmacher in ihrer Phantasiewelt nicht mit A4, Q5 oder TT – sondern mit einem völlig neuen Fahrzeugportfolio, das noch viel schärfer als heute auf spezielle Einsatzgebiete zugeschnitten ist. Wie ein Langstrecken-Reisemobil aussehen könnte, hat Audi mit der Studie Aicon auf der IAA 2017 gezeigt, und der im vergangenen Jahr im kalifornischen Pebble Beach präsentierte PB18 führte vor, wie ein Auto für Wochenendausflüge auf die Rennstrecke aussehen könnte. Auf der Messe in Shanghai folgt dieser Tage mit dem AiMe die dritte Fingerübung: Ein kompakter Stadtflitzer für die Megacitys dieser Welt.
Audi AiMe
BildergalerieDie Idee dahinter ist simpel: Dank 125-kW / 170 PS-Elektroantrieb entfallen Verbrenner und Getriebe und erlauben eine deutlich bessere Raumausnutzung. Trotz nur 4,30 Meter Länge konnte das Designer-Team rund um Marc Lichte einen Innenraum auf Mittelklasse-Niveau realisieren. Zusätzlicher Platz wurde durch die Seitenscheiben geschaffen: Die weit nach unten gezogenen Fenster sind nach außen gewölbt und sorgen im Schulter- bzw. Armbereich für deutlich mehr Bewegungsfreiheit. Das sieht futuristisch aus, ist aber wohl kein allzu großes Hexenwerk mehr und könnte bald so gebaut werden – theoretisch. Realistisch betrachtet ist der stark keilförmige AiMe allerdings kein Ausblick auf einen bald erhältlichen Audi. Die Rede ist von zehn bis fünfzehn Jahren, ehe ein so oder ähnlich geartetes Serienmodell auf die Straße kommen könnte.
Wird die Vision wahr, sitzen wir in ein, zwei Dekaden auf bequemen Lounge-Sesseln in der ersten Reihe, oder lümmeln auf der Sofa-ähnlichen Rückbank. Unter dem riesigen Glasdach ist eine massive Holzstreben-Konstruktion, die nicht zufällig an eine gemütliche Gartenlaube erinnert; im AiMe schlängelt sich hier sogar echter Efeu entlang. Die Pflanze soll ein wenig grün in den grauen Stadtalltag bringen und für gute Luft sorgen. Neben Glas, das sich bei Sonneneinstrahlung automatisch verdunkelt, und Echtholz gibt es viel feinen Stoff und Corian an den niedrig gehaltenen Türbrüstungen. Das Marmor-ähnliche Mineralverbundmaterial schmeichelt der Hand und ermöglicht die Integration von Touch-Tasten. Viel zu drücken gibt es allerdings nicht: Auf den für eine Zukunftsstudie recht klein geratenen Displays unterhalb der Windschutzscheibe wird per Eye-Tracking navigiert. Einzelne Menüpunkte können also durch bloßes Hinschauen ausgewählt werden.
Virtual Reality statt große Touchscreens
Auf die sonst üblichen, überbordenden Bildschirmflächen verzichtet Audi, denn die Ingolstädter sind fest überzeugt, dass wir zukünftig Virtual-Reality-Brillen auf dem Kopf haben, um uns die Zeit zu vertreiben – schließlich soll der AiMe in abgegrenzten Gebieten völlig autonom unterwegs sein. Wann diese sogenannte Level-4-Autonomie Wirklichkeit wird, ist dieser Tage allerdings mehr als fraglich. Aktuell kämpfen die Autobauer noch mit Level-3-Funktionen, spricht Autobahnpiloten, deren Start sich immer weiter verzögert. Und auch der Einsatz klobiger Display-Brillen scheint mit Blick auf das Jahr 2030 eher unwahrscheinlich. Bis dahin hat die Entertainment-Industrie hoffentlich eine elegantere Lösung entwickelt um sich die Langeweile zu vertreiben – falls die Fahrtzeit nicht ohnehin zum Arbeiten genutzt wird.
Ziemlich elegant dagegen hat Audi das Lenkrad versteckt. Level 4 heißt nämlich: Es gibt durchaus Situationen, in denen der Fahrer die Kontrolle selbst übernehmen muss oder will. Das an das Steuer eines Flugzeugs erinnernde Volant fährt unter einer großen, hölzernen Ablage hervor, die sich gleichzeitig ein Stück zurückzieht; die flachen Gas- und Bremspedale sind wie gehabt im Fußraum montiert. Praktisch: Auf der Ablage vor dem Fahrer und auch am Mitteltunnel lassen sich Cupholder magnetisch an jeder beliebigen Stelle festmachen. So steht der Kaffeebecher auch dann sicher, wenn mit dem Selber-Fahrer mal die 170 Elektro-Pferdchen durchgehen. Und sollte doch mal was daneben gehen, kümmert sich der Audi-Service um eine gründliche Reinigung. Schließlich soll auch der nächste Nutzer wieder in ein Picobello-Premium-Fahrzeug steigen.