Arbeitssicherstellungsgesetz: Im Spannungs- oder Verteidigungsfall

Weitere Informationen und Services von AUTOHAUS zum Thema: Playlist: "Steuer- und Rechtsthemen" Den wenigsten ist bekannt, dass Arbeitsrecht auch eine politische und sogar militärisch bedeutsame Komponente haben kann: das Arbeitssicherstellungsgesetz - in der Ausformulierung das "Gesetz zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung" (nachfolgend: ASG). Das ASG normiert für den militärischen Spannungsfall - und naturgemäß erst recht für den Verteidigungsfall - für Arbeitgeber und Arbeitnehmer aller Branchen Arbeitsverpflichtungen und Kündigungsbeschränkungen. Die Privatautonomie, das heißt das Recht, private Rechtsverhältnisse nach eigener Entscheidung zu gestalten, wird durch das ASG eingeschränkt. Der russische Angriffskrieg, insbesondere im Zusammenspiel mit dem Verhalten des aktuellen amerikanischen Präsidenten, hat die deutsche wie auch die gesamteuropäische Sicherheitslage massiv verändert. Von vielfacher Seite wird für die nicht allzu ferne Zukunft tatsächlich vor dem Eintritt eines jedenfalls militärischen Spannungsfalls gewarnt. Was sagt das ASG? Ausgangslage Mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 wurde die allgemeine Dienstpflicht in Art. 12a GG eingeführt. Nach dieser Vorschrift gilt in Abs. 1: "Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden". Gemäß Art. 12a Abs. 3 GG können Wehrpflichtige, die nicht für derartige Einsätze herangezogen werden können, im Verteidigungsfalle gesetzlich für "zivile Dienstleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung in Arbeitsverhältnisse verpflichtet werden". Art. 80a GG bestimmt darüber hinaus, dass die Verpflichtung nach Art. 12a Abs. 3 GG in Arbeitsverhältnisse bereits dann möglich ist, wenn gemäß Grundgesetz oder gemäß einem Bundesgesetz über die Verteidigung aufgrund Entscheidung des Bundestages ein "Spannungsfall" vorliegt. Ein solches Gesetz im vorstehenden Sinne ist das ASG vom 9. Juli 1968, das in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Änderung des Grundgesetzes während des Kalten Krieges erlassen wurde. Verteidigungs- und Spannungsfall Art. 115a Abs. 1 GG definiert den Verteidigungsfall als einen bereits andauernden oder unmittelbar bevorstehenden bewaffneten Angriff auf das Bundesgebiet. Diese Definition ist eindeutig. Keineswegs eindeutig ist die Begrifflichkeit des "Spannungsfalls". Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags hat sich bereits im Februar 2023 in einer umfangreichen Arbeit (Aktenzeichen WD 2 - 004/23) unter dem Titel "Das Notstandsrecht im Lichte des Krieges in der Ukraine" unter anderem mit der Begrifflichkeit des Spannungsfalls befasst. Danach ist der Spannungsfall die Vorstufe zum Verteidigungsfall und trägt dem Umstand Rechnung, dass "in bestimmten Fällen Maßnahmen zur Herstellung der erhöhten Verteidigungsbereitschaft" schon vor dem Verteidigungsfall getroffen werden müssen. Bei der Feststellung des Spannungsfalls besitzt der Deutsche Bundestag einen erheblichen Beurteilungsspielraum, da die mit der Feststellung verbundene Krisenprognose von etlichen Unwägbarkeiten abhängt. Der wissenschaftliche Dienst in der vorzitierten Arbeit, Seite 11: "Dieser Beurteilungsspielraum erscheint politisch umso größer, als dem Spannungsfall - anders als dem Verteidigungsfall - kein legal definierter, sondern vielmehr ein interpretationsoffener Tatbestand zugrunde liegt. Gleichwohl wird die Feststellung des Spannungsfalles immer sorgfältiger Prüfung durch den Bundestag bedürfen, nicht zuletzt um krisenverschärfende Wirkungen zu vermeiden." Ob ein Spannungsfall vorliegt oder nicht, ist damit wesentlich von der politischen Couleur der Bundestagsmehrheit abhängig. Maßnahmen nach ASG Gemäß § 2 ASG können zum Zwecke der Verteidigung (damit auch bereits im Spannungsfall) einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung das Recht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom vollendeten 18. Lebensjahr bis zum Erreichen der Regel-Rentenaltersgrenze beschränkt werden, ein Wehrpflichtiger in ein Arbeitsverhältnis verpflichtet werden, eine Frau vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr im zivilen Sanitäts- oder Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation in ein Arbeitsverhältnis verpflichtet werden. Festzuhalten ist, dass die Wehrpflicht für Männer im Jahr 2011 nicht aufgehoben, sondern lediglich ausgesetzt wurde. Die Wehrpflicht kann unter Beachtung der grundgesetzlichen Bestimmungen aufgrund politischer Entscheidung jederzeit wieder aufleben, wobei die Wehrpflicht im Verteidigungs- und Spannungsfall letztlich automatisch wieder aktiviert wird. Festzuhalten ist des Weiteren, dass das ASG nach derzeitiger Lage Frauen nicht als Wehrpflichtige im Sinne des Gesetzes versteht. Einzelne Verpflichtungen und Beschränkungen Die in § 2 ASG allgemein bestimmten Maßnahmen werden in § 3 ASG konkretisiert und im Einzelnen benannt. Es sind dies insbesondere Maßnahmen zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen bei der Bundeswehr und bei den verbündeten Streitkräften, bei sonstigen Unternehmen, soweit deren Leistungserbringung im Rahmen von Vertragsverhältnissen zur Versorgung der Bundeswehr und der verbündeten Streitkräfte erforderlich ist, bei Betrieben, soweit sie Militärausrüstung, einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile oder Bausätze liefern, erzeugen oder Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang dazu erbringen, bei Verbänden und Einrichtungen des Zivilschutzes, in Betrieben der Wasser- und Energieversorgung sowie der Abwasser- und Abfallbeseitigung, in Ernährungsunternehmen in Krankenanstalten in Betrieben der Mineralöl , Gas-, Kohle- und Wasserstoffversorgung, in Verkehrsunternehmen bei der Deutschen Post AG und der Deutschen Telekom AG Die Aufzählung ist nicht abschließend. Verpflichtung durch Bescheid Sofern eine Maßnahme gemäß § 3 ASG umgesetzt werden soll, geschieht dies durch einen "Verpflichtungsbescheid" gemäß § 13 ASG. Verpflichtungsbehörde für einen solchen Bescheid ist die Agentur für Arbeit. Örtlich zuständig ist diejenige Arbeitsagentur, in deren Bezirk ein Arbeitnehmer vor Erlass des Bescheides beschäftigt ist. Nach dem ASG sollen die Betroffenen "in zumutbare Arbeitsverhältnisse" verpflichtet werden. Dabei sollen Ausbildung, berufliche Tätigkeit, körperliche und geistige Fähigkeiten wie auch soziale und wirtschaftliche Verhältnisse berücksichtigt werden. Durch einen Verpflichtungsbescheid wird mit dem neuen Beschäftigungsbetrieb - sei dies die Bundeswehr oder sei dies ein privates oder öffentliches Versorgungsunternehmen - ein "echtes" Arbeitsverhältnis begründet. Die gegenseitigen Rechte und Pflichten aus dem durch Bescheid begründeten Arbeitsverhältnis richten sich nach denjenigen Bedingungen, die im Verpflichtungsbetrieb üblich sind und abverlangt werden. Wird ein Mechatroniker beispielsweise für die Wartung und Reparatur in eine bundeswehreigene Werkstatt verpflichtet, gelten für ihn die dort üblichen Regeln. Dies gilt im Übrigen auch für die sozialversicherungsrechtlichen Belange. Verdient ein verpflichteter Arbeitnehmer im Verpflichtungsbetrieb nach den dort geltenden üblichen Regelungen weniger als im bisherigen Betrieb, so erhält er hierfür allerdings einen Ausgleich. Bisheriges Arbeitsverhältnis Wird ein Arbeitnehmer durch einen Bescheid gemäß ASG in ein neues Arbeitsverhältnis verpflichtet, so ruht gemäß § 15 ASG sein bisheriges Arbeitsverhältnis für die Dauer der Verpflichtung. Dies bedeutet nicht, dass zum bisherigen Betrieb keinerlei Verbindung mehr besteht. Definitionsgemäß bedeutet "Ruhen" des Arbeitsverhältnisses, dass die Hauptleistungspflichten - und damit die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers wie auch die Vergütungspflicht des Arbeitgebers - nicht mehr geschuldet sind. Allerdings bleiben arbeitsvertragliche Nebenpflichten wie Verschwiegenheit, Konkurrenzschutz, Loyalität etc. weiterhin bestehen. Nach Beendigung der ASG-Verpflichtung lebt das bisherige Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten wieder auf. Bis dahin muss der alte Betrieb auf seinen Arbeitnehmer verzichten. Gegen einen Verpflichtungsbescheid steht dem bisherigen Arbeitgeber kein Widerspruchsrecht zu. Rechtsanwalt Rainer Bopp kanzlei@raehaug-partner.de www.haug-partner.de KOMMENTAR Das Arbeitssicherstellungsgesetz (ASG) ist lediglich eines von mehreren Sicherstellungsgesetzen, welche die Funktionalität des privaten und öffentlichen Lebens nicht erst im Verteidigungsfall, sondern bereits im vorangehenden Spannungsfall gewährleisten sollen. Ob ein Spannungsfall vorliegt, ist mittels einer "Feststellung" des Deutschen Bundestags zu entscheiden. Die vorgenannte Feststellung erfordert eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen. Um die Feststellung positiv treffen zu können, bedarf es eines entsprechenden politischen Willens der Mandatsträger, nachdem es keine gesetzliche Regelung gibt, die den Spannungsfall definiert. Wird die Feststellung getroffen, so werden die Sicherstellungsgesetze damit nach Maßgabe des Art. 80a Abs. 1 GG "entsperrt" und erlangen Geltung. Als weitere Sicherstellungsgesetze sind insbesondere folgende Gesetze und Verordnungen (Aufzählung nicht abschließend) zu nennen: Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz, Verkehrssicherstellungsgesetz, Verordnung zur Sicherstellung des Straßenverkehrs, Luftverkehrs und Eisenbahnverkehrs, Wirtschaftssicherstellungsgesetz, Mineralölbewirtschaftungsverordnung, Verordnung über die Sicherstellung der Elektrizitätsversorgung. Da die Sicherstellungsgesetze aus den Sechzigerjahren stammen, arbeitet der Gesetzgeber gerade daran, diese zu modernisieren und zu vereinheitlichen. Angesichts der aktuellen politischen Lage zeigt sich diesbezüglich durchaus eine gewisse Eilbedürftigkeit.

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