Es kommt nicht allzu häufig vor, aber Kfz-Sachverständige und Unfallrekonstrukteure kennen diese Situation: Plötzlich und ohne eine aktive Handlung des Fahrers oder eine sonstige Fremdeinwirkung macht das Auto irgendeinen "Blödsinn". Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über einen solchen Fall, bei dem es wegen des Defekts eines Notbremsassistenten zu einem Auffahrunfall auf der Autobahn kam und dem Unfallgegner zwei Drittel der Schuld zugesprochen wurden.
Abstand oder Defekt – schwierige Schuldabwägung
In der konkreten Streitsache vor dem OLG Frankfurt (AZ: 23 U 120/20) fuhr eine Frau, die später auch als Klägerin vor Gericht auftrat, mit ihrem Fahrzeug auf der A5. Ohne jeden Anlass löste plötzlich der Notfallbremsassistent ihres Wagens aus. Der Beklagte dahinter konnte mit seinem Lkw nicht mehr rechtzeitig bremsen und fuhr auf das Auto der Klägerin auf. Die Frau verlangte Schadensersatz. Ein Gutachten kam zu dem Schluss, dass der Lkw den bei der Geschwindigkeit erforderlichen Sicherheitsabstand von 50 Metern um 30 Prozent unterschritten hatte. Das Landgericht sprach der Klägerin ein Drittel des geltend gemachten Schadens zu. Ihre hiergegen gerichtete Berufung hatte zum Teil Erfolg. Das Oberlandesgericht erhöhte die Summe und sprach der Klägerin nunmehr zwei Drittel Schadenersatzanspruch zu.
Es müsse berücksichtigt werden, dass der Unfall durch das Fahrzeug des Beklagten mitverursacht worden sei. Wegen des zu geringen Sicherheitsabstands habe der Lkw-Fahrer nicht mehr rechtzeitig abbremsen können. Angesichts der Größe des Lkw mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t hätte er auf Autobahnen bei mehr als 50 km/h ein Mindestabstand von 50 Metern einhalten müssen.
Die unbegründete und erhebliche Unterschreitung des Sicherheitsabstands ist nach Ansicht des Gerichts auf ein schuldhaftes Verhalten zurückzuführen. Das vorausfahrende Fahrzeug wurde aufgrund eines technischen Versagens abgebremst. Dies rechtfertige eine Haftungsverteilung von zwei Dritteln zulasten des LKW-Fahrers. Die Klägerin müsse sich vorwerfen lassen, dass sie ihr Fahrzeug ohne ersichtlichen Grund auf freier Strecke abrupt abbremste – unbenommen des technischen Versagens. (fi)