Die Münchner Schadenszene steht in Sachen organisiertem Versicherungsbetrug erneut im Brennpunkt der Öffentlichkeit (siehe auch Folgemeldung): Das Polizeipräsidium München informierte am gestrigen Mittwoch ausführlich über einen Fall "dreister Abzocke durch vorgetäuschte Unfälle", über den heute auch sämtliche Münchner Medien ausführlich berichten. In dem Kreis von "mindestens 25 beteiligten Personen" sind im Grunde sämtliche im Rahmen einer klassischen Kfz-Unfallschadensabwicklung Beteiligten repräsentiert. Als Drahtzieher wurde seitens Polizei und Staatsanwaltschaft der heute 51-jährige Ex-Schadensachbearbeiter der Münchner HDI-Niederlassung in der Englschalkinger Straße, Johann M., ausgemacht, der – analog zur Donnerstags-Presseerklärung der Polizei – in allen Tageszeitungen auch ausführlich beschrieben wird: M. stehe "im Verdacht, ein Netzwerk aufgebaut zu haben, das dem Zweck diente, Verkehrsunfälle zu erfinden und unberechtigte Schadensersatzansprüche geltend zu machen". Als Gruppenleiter in der Abteilung Kraftfahrt-Schaden sei der Versicherungsangestellte – der übrigens vor gut einem Jahr freiwillig gekündigt habe, nachdem die Sache "ruchbar" wurde – zuständig für die Bearbeitung von Schadensfällen mit unklarer Haftung, Personenschäden, Totalentwendungen und Brandschäden. Aufgabe des Sachbearbeiters war es laut Polizei, die Haftung und die Schadenshöhe in den ihm übertragenen Schadensakten zu überprüfen und nur dann die entsprechenden Entschädigungen auszuzahlen, wenn diese gerechtfertigt sind. "In den vorliegenden Schadensfällen hatte der 51-Jährige sämtliche Überprüfungen unterlassen und die Entschädigungssummen im Allgemeinen gemäß den von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen in voller Höhe ausgezahlt. Diese Auszahlungen erfolgten häufig innerhalb kürzester Zeit", so die Münchner Polizei weiter. Auch Anwältin, Sachverständige und Werkstätten im Ermittlerfokus Die weiteren Beschuldigten seien bei den fiktiven Unfallereignissen abwechselnd als Versicherungsnehmer und Anspruchsteller in Erscheinung getreten. Im Anschluss setzten sie, in einem Großteil der Fälle unter Einbindung einer 37-jährigen Münchner Rechtsanwältin, ihre Ansprüche bei der Versicherungsgesellschaft durch. Die Abrechnung erfolgte in den meisten Fällen rein auf Gutachtenbasis. Verantwortlich für die Begutachtung der Schäden war meist ein 49-jähriger Münchner Kfz-Sachverständiger. Sowohl die Rechtsanwältin, als auch der Kfz-Sachverständige, werden heute ebenfalls bereits mit ihrem richtigen Vor- und dem abgekürzten Nachnamen in den Medien neben dem Ex-Versicherungsmitarbeiter Johann M. geführt. Der damalige HDI-Sachbearbeiter sorgte nach Polizeiangaben anschließend für die reibungslose Auszahlung der Schadensersatzbeträge durch seine Gesellschaft. Die Summen waren insofern beträchtlich, da sowohl auf der Verursacher-, als auch auf der Geschädigtenseite hochwertige und vollkaskoversicherte Fahrzeuge der Marken Porsche, Mercedes, BMW, Audi und Jaguar verwendet wurden. Sogar ein Rolls Royce Silver Shadow soll beim Einparkversuch eines Mittäters in der Tiefgarage beschädigt worden sein. Geltend gemacht wurden darüber hinaus augenscheinlich auch Körperverletzungen wie zum Beispiel Schleudertraumata. Im weiteren Zuge der Unfallschadens-Abwicklung und -Regulierung übernahmen schließlich fünf beteiligte Autohändler, Restwertaufkäufer und Betreiber von Reparaturwerkstätten die deformierten Fahrzeuge und führten sie einer Reparatur zu. Teilweise setzten sie die Luxuskarossen mehrfach ein und traten selbst als Versicherungsnehmer und/oder Anspruchsteller auf. 62 Fälle mit knapp 1,5 Mio. Euro Schaden Die festgenommenen Personen sind laut Ermittlungen für 62 Versicherungsschäden im Zeitraum von 2000 bis 2005 verantwortlich. Der Gesamtschaden liegt für diesen Zeitraum bei fast 1,5 Mio. Euro. Aufgrund der Verjährungsfristen erstrecken sich die im Moment noch andauernden Ermittlungen des Fachkommissariats allerdings nur auf die Zeit seit dem Jahr 2000. Die Staatsanwaltschaft München I erwirkte insgesamt acht Haftbefehle gegen die Haupttäter, die am vergangenen Donnerstag vorläufig in Untersuchungshaft kamen. Lediglich einer der Beteiligten, ein Autohändler, ist inzwischen aufgrund eines umfassenden Geständnisses wieder auf freiem Fuß. Johann M., der für Polizei und Staatsanwaltschaft als mutmaßlicher Haupttäter gilt, habe die Taten ebenfalls bereits gestanden. Darüber hinaus wurden insgesamt 20 Wohnungen in München, Starnberg, Dachau, Lenggries, Lamerdingen, Ingolstadt und Nürnberg durchsucht. Vier Festgenommene wurden bereits am Donnerstagmorgen, 29. März, dem Ermittlungsrichter an der Nymphenburger Straße vorgeführt, drei weitere folgten am Freitag. In den durchsuchten Wohnungen sowie in der Rechtsanwaltskanzlei in München wurden schriftliche Unterlagen "im großen Umfang sichergestellt". Die Ermittlungen wurden ausgelöst durch eine Anzeige der HDI, die bereits 2005 auf die Unregelmäßigkeiten aufmerksam geworden war. Die Schadenersatzsummen bewegten sich jeweils in Größenordnungen zwischen 10.000 und gut 30.000 Euro. Der Ex-Mitarbeiter der HDI, der dem Vernehmen nach absichtlich und "wissentlich" die falschen Gutachten nicht überprüfte, habe sich nach Auszahlung der Schadenssummen an die vermeintlich Geschädigten von diesen entsprechende Teilsummen, die nicht näher beziffert wurden, privat wieder rückerstatten lassen. (wkp/tl)
Acht Haftbefehle für Millionen-Betrug bei Kfz-Unfallschadensabwicklung

Organisierter Versicherungsbetrug bringt Münchner Schadenszene in den Brennpunkt der Öffentlichkeit