Der Kompromiss zwischen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und den deutschen Autoherstellern in der Dieselkrise steht in der Kritik. Die Hersteller hatten zugesagt, Angebote für Besitzer älterer Fahrzeuge zu erweitern. Dazu können auch die von den Herstellern skeptisch beurteilten Hardware-Nachrüstungen an Motoren und Abgaseinrichtungen gehören.
Aus Sicht von Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter geht das "Tricksen" ungeniert weiter: "Minister Scheuer und die Konzernbosse wollen den betrogenen Dieselbesitzern Neuwagen andrehen und verweigern ihnen die Nachrüstung um weitere Jahre." Damit seien viele weitere Fahrverbote in Städten mit dreckiger Luft vorprogrammiert.
Klaus Müller, Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen (vzbv) sagte: Die Zusagen einiger Hersteller, die Kosten für Hardware-Nachrüstung zu übernehmen, seien längst überfällig gewesen. "Dass jetzt doch jeder Hersteller sein eigenes Süppchen kocht und sogar einige betroffene Dieselbesitzer ganz leer ausgehen, ist nicht vermittelbar." Betroffenen Dieselbesitzern dürften keine Kosten durch Hardware-Nachrüstung entstehen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hält den neuen Diesel-Kompromiss mit der deutschen Autoindustrie daggegen für eine gute Zwischenlösung. "Es ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung", sagte Vize-Regierungssprecherin Martina Fietz am Freitag zur Einschätzung Merkels. Diese habe die Ergebnisse der Gespräche von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mit den Automanagern zur Kenntnis genommen und begleite den Prozess "weiter konstruktiv". "Die Kanzlerin erwartet, dass die Industrie ihrer Verantwortung nachkommt. (...) Sie wird beobachten, wie sich diese ganze Geschichte entwickelt."
Hardware-Nachrüstung greift zu kurz
Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) begrüßte grundsätzlich die Förderung der Hardware-Nachrüstung von Euro-5-Dieselfahrzeugen als "richtiges und längst überfälliges Signal". Allerdings greife sie zu kurz und komme zu spät. Denn offenbar gelte die Zusage erst für die Zeit nach 2020 und nur für herstellerspezifische Angebote sowie nur für Fahrzeughalter von Euro 5-Dieseln in den Intensivstädten, erklärte ein Verbandssprecher. Damit werde die bisher verfolgte Strategie des Aussitzens einer schnell realisierbaren Nachrüstregelung fortgesetzt.
Diese Haltung der Hersteller sei auch deswegen unverständlich, weil nach Schätzungen des ZDK für rund 1,3 Millionen der im Bestand befindlichen Euro 5-Dieselfahrzeuge auf die wesentlichen Hardware-Teile (SCR-Katalysator, Adblue-Tank, beheizbare Leitung, Pumpe, Filter) aus den Regalen der Fahrzeughersteller zurückgegriffen werden könnte. Diese Teile ließen sich im Baukastenprinzip zu einem SCR-System zusammenstellen und individuell für die Nachrüstung anbieten.
"Fahrverbote werden sich damit kurzfristig nicht verhindern lassen"
FDP-Fraktionsvize Michael Theurer begrüßte zwar die nach seinen Worten erzielten "Fortschritte" bei den Zusagen für Hardware-Nachrüstungen: "Doch allein mit dieser Maßnahme werden sich kurzfristig Fahrverbote nicht verhindern lassen." Die Bundesregierung müsse sich bei der EU für ein Grenzwert-Moratorium einsetzen, damit die Maßnahmen wirken könnte. Gleichzeitig müsse der Rahmen geschaffen werden, damit Fahrzeuge rechtssicher nachgerüstet werden können und nachgerüstete Autos definitiv von Fahrverboten ausgenommen werden.
Aus Sicht von Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer entsteht mit der angepeilten Lösung "noch weniger als ein Flickenteppich". VW und Daimler machten rund 30 Prozent der Dieselfahrzeuge in Deutschland aus, der Rest bliebe unberücksichtigt, sagte Dudenhöffer dem "Mannheimer Morgen" (Freitag).
Für den ADAC ist laut Vizepräsident Ulrich Klaus Becker wichtig, "dass für Autofahrer, die sich trotz Umtauschprämien und Rabatten kein neues Auto leisten können, eine technische Nachrüstung weiterhin die Chance bietet, trotz drohender Fahrverbote mobil zu bleiben und den Wertverlust ihrer Dieselautos aufzufangen". Alle Hersteller sollten jetzt solche Angebote machen.
Am Donnerstag hatte ein Gericht auch für Köln und Bonn Sperrungen für ältere Diesel angeordnet. In Hamburg gibt es bereits Einschränkungen. Gerichte hatten Fahrverbote ab 2019 auch für Stuttgart, Berlin oder Frankfurt angeordnet. In vielen Städten werden Schadstoff-Grenzwerte nicht eingehalten, Dieselabgase gelten als ein Hauptverursacher.
"Mobilitätslösungen" für "Intensivstädte"
Nach dem mit Scheuer erzielten Kompromiss wollen VW, Daimler und BMW ihre Angebote an betroffene Kunden aufstocken. Die drei Unternehmen hätten fahrzeugbezogen bis zu 3.000 Euro für "Mobilitätslösungen" in den "Intensivstädten" zugesagt, sagte Scheuer.
Die Hersteller hatten bereits höhere Preisnachlässe auf den Weg gebracht, wenn Kunden ihre alten Diesel in Zahlung geben und einen saubereren Wagen kaufen. Diese Regelung gilt für 15 "Intensivstädte" in Deutschland, in denen Schadstoff-Grenzwerte vor allem durch Dieselabgase besonders stark überschritten werden. Die "Umtauschprämien" laufen je nach Hersteller bis 2019 und 2020.
Diese Umtauschaktionen sollen weiter im Vordergrund stehen, so Scheuer. Nutzen aber betroffene Dieselbesitzer diese Aktionen nicht, sind weitere Maßnahmen geplant. Demnach sind Volkswagen und Daimler bereit, die dann noch verbliebenen älteren Dieselautos in den "Intensivstädten" für bis zu 3.000 Euro pro Wagen mit Katalysatoren nachrüsten zu lassen - das sind die Hardware-Nachrüstungen. Bisher hatten VW und Daimler angeboten, 2.400 Euro pro Fahrzeug zu zahlen.
Bei Daimler hieß es, die Nachrüstung müsse vom Kraftfahrt-Bundesamt zugelassen werden und nachweislich dazu berechtigen, in bestimmten Städten auch in Straßen mit Fahrverboten einzufahren. VW kündigte an, sich an Hardware-Nachrüstungen zu beteiligen, wenn Kunden dies wünschten. Der Konzern werde sie aber nicht anbieten oder empfehlen.
BMW dagegen lehnt Hardware-Nachrüstungen weiter ab. Der Konzern will betroffene Dieselbesitzer aber nach Auslaufen der "Umtauschprämien" mit 3.000 Euro unterstützen - etwa für einen Neukauf.
Hardware-Nachrüstungen nicht vor 2020
Es wird davon ausgegangen, dass Hardware-Nachrüstungen nicht vor 2020 verfügbar sind. Vor diesem Hintergrund sagte VDA-Präsident Bernhard Mattes, die drei deutschen Hersteller würden für die Zeit nach 2020 sicherstellen, dass Kunden mit Euro-5-Diesel-Altfahrzeugen durch herstellerspezifische Angebote "mobil bleiben" könnten.
Nach den jüngsten Fahrverboten rechnet die Deutsche Umwelthilfe in weiteren Städten in Nordrhein-Westfalen mit ähnlichen Entscheidungen. In der kommenden Woche befasst sich das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen mit einer Klage zu Essen und Gelsenkirchen.
Das 2017 von der Bundesregierung aufgelegte Sonderprogramm "Saubere Luft" zur Unterstützung von Kommunen mit hohen Schadstoffwerten wird nach einem Medienbericht weiter kaum genutzt. Von der bereitstehenden eine Milliarde Euro sei bisher erst knapp eine Million Euro abgerufen worden, heißt es laut dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion. (dpa)
K.D. Schmitz