Von Alexandra Felts/SP-X
Es kann sich eine ganze Welt in einem einzigen Detail offenbaren. Um exakt sieben Grad wurde die berühmteste Kühlerfigur der Welt beim Ghost nach vorne gekippt. Gerade so, als wolle die "Spirit of Ecstasy", die seit 103 Jahren jedem Fahrer eines Rolls-Royce den Weg weist, noch kühner dem Fahrtwind entgegen eilen. Mit geliebten Ikonen augenzwinkernd umzugehen, ist natürlich very British. Unerhört war einst der Gedanke an einen Rolls-Royce für Einsteiger. Aber tatsächlich ist dieser Ghost für viele Kunden My first Rolls. Fünf Jahre nach seiner Premiere hat das inzwischen erfolgreichste Modell der royalen Mobilität einen Facelift bekommen.
Der jungen, global agierenden Wirtschaftselite bietet der Ghost zwar die automobile Aristokratie alter Schule, zugleich aber in Leder und Holz gebundene ständige Erreichbarkeit. So erkennt das Touchpad des Controllers für die zentrale Menüführung selbstverständlich mit dem Finger geschriebene chinesische Zeichen oder arabische Buchstaben. Auf den Geist der modernen vernetzten Welt mag ein Eigner eines majestätischen Rolls-Royce Phantom auch unterwegs keinen Wert legen. Aber der Ghost-Fahrer will darauf nicht verzichten.
Wie der Spirit of Ecstasy strebt auch London unerbittlich der Zukunft entgegen. Hier, im Herzen der City, startete der erste Ausflug mit dem Ghost Series II getauften Facelift. Auch wer täglich mit Milliarden jongliert und Imperien aus dem Nichts schafft, erwartet von einem Rolls-Royce zunächst einmal eines: die Stille und das unmerkliche Vibrieren, wenn der Zwölfzylinder auf Knopfdruck zu Leben erwacht. Ob es den wachsenden Ghost-Club tatsächlich interessiert, dass der Motorblock des Turbobenziners von der Mutter BMW geliefert wird? Womöglich ebenso wenig wie die Leistungsdaten: 420 kW / 570 PS und ein Drehmoment von 780 Nm.
Für ein Fahrzeug, das in durchschnittlich 450 Arbeitsstunden in Manufaktur Gestalt annimmt und ab exakt 272.837 Euro bestellbar ist, sind auch Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit nachrangig. Bei Rolls-Royce bewahrt man traditionell Diskretion und hüllt auch Verkaufszahlen vornehm in Schweigen. Nur so viel: man sei mit dem Ghost deutlich erfolgreicher als Bentley mit dem Flaggschiff Mulsanne und eine anvisierte Jahresstückzahl von 4.000 Einheiten durchaus bald möglich.
Zurückhaltende Updates am Design
Selbst im gemächlichen Gleitmodus dürfte kaum jemand das optische Update am Design wahrnehmen. Dazu gehören neben neu gestalteten LED-Frontscheinwerfern, die von Tagfahrleuchten eingefasst werden dynamischer gezeichnete Stoßfänger. Vielleicht erkennt jemand die zusätzlichen, "Wake Channel" benannten Bügelfalten auf der Motorhaube - eine Hommage an die Schiffbautradition rund um Goodwood.
Die Entrepreneure wollen Neuerungen, aber man soll bitte nichts davon merken. Außer, dass die Bestuhlung vorne noch komfortabler ist und die Garnitur im Fond zueinander angewinkelt bestellt werden kann. Außer, daß die Instrumente den Selbstfahrer jetzt eher an die kostbare Armbanduhr an seinem Gelenk erinnern sollen. Adaptive Scheinwerfer, die sich mit dem Lenkradeinschlag mitbewegen gehören zu den subtilen Nuancen, die wie die Verbesserungen am Fahrwerk allenfalls wie ein kaum merkliches königliches Lächeln wahrgenommen werden.
Series II verfügt über ein satellitengestützes Acht-Gang-Automatikgetriebe von ZF, das die GPS-Daten nutzt, um vorausschauend die richtige Fahrstufe zu wählen. Den Schalter für die Fahrwerkseinstellungen sucht man vergeblich, ebenso wie eine Klimaanlage, die sich exakt nach Temperaturgraden regeln ließe. Das wurde bereits vom Fahrzeug selbstständig erledigt.
Mit gedämpftem Grollen
So bleibt einem als Fahrer nichts übrig, als die Ausfahrt zu genießen. Auf der Autobahn Richtung Grafschaft Kent beschleunigt der Ghost mit gedämpftem Grollen und bremst ebenso behutsam seine 2,3 Tonnen ab. Allenfalls auf den engen, malerisch verschlungenen Landstraßen kommt bei Lkw-Gegenverkehr so etwas wie leicht ungebührliche Unruhe auf. Tatsächlich wirkt der Livingroom des Ghost innen breiter, als seine äußere straffe, schnörkellos moderne Form vermuten lässt. Gelassen federt er kurz entschlossen Straßenschäden ab, als wären es lästige Insekten.
Als handwerkliche Details glänzen Fensterheber, die wie die Verschlußklappen einer Klarinette geformt sind, die aufwändigsten Holzfurniere der Autoindustrie, opulent und hochglänzend dank sechs Lackschichten, dann das genarbte neue Naturleder, das sich makellos gespannt und duftend um das Interieur schmiegt. Auf der Rückbank haben die Entwickler in Goodwood hinter dem ausfahrbaren Aschenbecher ein Geheimfach versteckt, das es für Besitzer zu entdecken gilt. Das ist fast so schön, wie der Regenschirm, der sich vorne aus der Tür ziehen lässt.