Von Michael Specht/SP-X
Wirklich verstanden haben die lange Pause wohl nur die BMW-Oberen selbst. Dass der bayerische Fahrzeugbauer 2013 mit dem Karbon-Elektroauto i3 die gesamte Branche vorführte, war löblich. Vorsprung durch Technik, kombiniert mit neuer Freude am Fahren. Perfekt. Dass danach aber gar nichts mehr passierte und die Münchner der Mut verließ, mit Folgemodellen der Konkurrenz weiter einzuheizen, bleibt unverständlich. Mittlerweile sind Mercedes mit dem EQC und Audi mit dem e-tron an BMW vorbeigezogen, Jaguar hat seinen I-Pace bereits auf der Straße.
Doch jetzt scheint man in München den Ernst der Lage erkannt zu haben. Schon im vorigen Jahr präsentierten die Bayern eine Elektrostudie in der Größe eines Vierer Grand Coupés, die 2021 als i4 in den Markt gehen soll. Für 2019 wird der Mini elektrifiziert, 2020 soll dann das Elektro-SUV iX3 serienreif sein. Doch Mini und iX3 sind umgebaute Verbrenner, bilden nur eine Art Brücke zu einer ganz neuen Generation von Elektrofahrzeugen. Mit ihnen will BMW dann den Schalter richtig umlegen. Sie sollen nicht nur batterieelektrisch unterwegs sein, sondern auch beim Thema Autonomes Fahren, den "Trail Blazer" spielen, wie BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich es ausdrückt, also die Vorreiterrolle einnehmen.
Wie man sich diese Zukunft auf vier Rädern vorstellt, präsentierte BMW vergangene Woche auf dem Münchener Flughafen. Im Bauch eines Cargo-Fliegers der Lufthansa steckte die "Vision iNext", startklar zu einer fünftägigen Weltumrundung mit den Stationen New York, San Francisco und Peking, also seinen künftigen Hauptmärkten.
Viele Konventionen über Bord geworfen
Der Vision iNext ist eine über fünf Meter große Mischung aus Kombi, Van und SUV. "Das Fahrzeug hat die Länge des X5, die Höhe des X6 und die großen Räder des X7", sagt der Leiter BMW i Design, Domagoj Dukec. Alles wurde anders gestaltet, viele Konventionen über Bord geworfen. Der BMW-typischen, aber jetzt geschlossenen Niere fehlt der Mittelsteg, umrahmt ist sie von einem LED-Band. Die Scheinwerfer gleichen Schlitzen, die Windschutzscheibe verläuft fließend ins Glasdach, die skulpturale Heckklappe trägt lediglich die Rücklichter, nicht breiter als ein Strich, sowie das Propeller-Symbol der Marke BMW. Unter dem Stoßfänger lugen zwei mächtige Diffusor-Auslässe hervor, die nicht Rennsportlichkeit darstellen sollen, sondern optimierte Aerodynamik.
Ob es allerdings die Portaltüren wie beim i3 erneut in die Serie schaffen, bleibt abzuwarten. Werden sie komplett geöffnet, benötigt der iNext neben sich mindestens 1,5 Meter Freiraum, in den heutigen Parksituationen ein Ding der Unmöglichkeit. Auch wird der iNext keine Karbon-Karosseriestruktur nach dem Vorbild i3 bekommen. Man entschied sich für einen Leichtbau-Mix aus Stahl, Aluminium, Magnesium und Karbon.
BMW Vision iNext
BildergalerieMinimalismus im Innenraum
Minimalismus ist im Innenraum angesagt, und zwar in seiner reinsten Form. Es gibt keine Knöpfe und Schalter mehr, stattdessen viel Luft, viel Licht, helle Stoffe und zwei freistehende Displays. Es könnte auch die Lounge eines skandinavischen Boutique-Hotels sein. Die vorderen Sitze gehen fast nahtlos in die Seitenwände über, wirken eher wie ein Sofa. Die integrierten Kopfstützen lassen sich zurückbiegen, der besseren Unterhaltung nach hinten wegen. Zwischen den Sitzen spannt sich eine scheinbar schwebende und kaffeetischähnliche Mittelkonsole, unter deren Holzfurnier sich – unsichtbar – ein Touch-Pad befindet.
Ähnliches fiel den Designern für den Fond ein. Auch hier eine sofaähnliche Lounge, bezogen mit rustikalem Jacquard-Stoff, unter dem spezielle Sensoren stecken. Sie lassen sich mit den Fingern aktivieren und dienen der Steuerung der Konnektivität. Sogar das Smartphone lässt sich auf dem Polster induktiv laden. Verwunderlich nur, warum es keine umlegbare Rücksitzbank und keinen variablen Laderaum im iNext gibt. Lifestyle und hipp sein schlagen hier die Funktionalität.
Auto fährt selbstständig
Das eingezogenen, kleine Rechteck-Lenkrad sowie die bündig im Boden versenkten Pedale, versehen nur mit einem großen Plus- und Minus-Zeichen, verraten unmissverständlich: Der iNext wird autonom auf Level 4 unterwegs sein können. Das heißt, das Auto fährt selbstständig, der Fahrer kann sich um andere Dinge kümmern. Ob diese Technik allerdings schon in drei Jahren einsetzbar sein wird, wissen auch die BMW-Ingenieure nicht. Noch fehlt in vielen Ländern hierzu die gesetzliche Grundlage. "Technisch sind wir auf jeden Fall in der Lage, Level 4 anzubieten", versichert Entwicklungsvorstand Fröhlich. Ein Fingerdruck auf das BMW-Logo im Lenkrad reicht, um von Autonomie zurück in den herkömmlichen Fahrmodus zu wechseln. Das Lenkrad fährt heraus, die beiden Pedale stellen sich wieder auf.
Detaillierte technische Angaben zum Vision iNext macht BMW noch nicht. Unter dem Blech steckt zur Markteinführung die fünfte Generation des hauseigenen Elektrobaukastens. Derzeit ist man bei Generation drei. Genügend Platz im Boden wäre für eine Kapazität von deutlich über 130 kWh, was eine Reichweite von gut 600 Kilometer ermöglichen würde. Bei den elektrischen Antrieben verwendet BMW ebenfalls eine Eigenentwicklung. Sie nennt sich HEAT Highly-integrated Electric Drive Train, zu Deutsch: Hochintegrierte Elektrische Antriebstechnik. "Während heute E-Motor, Getriebe und Leistungselektronik drei Teile bilden, sind bei uns künftig alle Komponenten in einem Gehäuse integriert", sagt Robert Irlinger, Leiter Produktlinie BMW i. Der neue Antrieb kommt erstmals 2020 im iX3 zum Einsatz. Zu rechnen ist mit mindestens 400 Kilowatt Gesamtleistung. Zudem ist das System so ausgelegt, dass mit bis zu 150 kW geladen werden kann. Die Batterie wäre so schon weniger als 40 Minuten zu 80 Prozent wieder gefüllt – und ein Nachteil der Elektromobilität zumindest abgemildert.