Von Benjamin Bessinger/SP-X
Das legendäre Green vor dem Clubhaus in Pebble Beach hat schon so manch ein berühmtes Auto gesehen. Und die allermeisten davon hatten eine faszinierende Geschichte. Schließlich inszenieren die Amerikaner hier am Pazifikstrand zwei Stunden südlich von San Francisco seit bald 50 Jahren die berühmteste Oldtimer-Gala der Welt. Doch in diesem Jahr hat der Star der Show seine besten Zeiten womöglich erst noch vor sich: Denn mit einer spektakulären Studie stahl Mercedes zum Auftakt des Concours d’Elegance all den anderen Klassikern die Schau.
"Vision Mercedes-Maybach 6" lautet der Name des Blickfangs, mit dem Designchef Gorden Wagener den Traum vom ultimativen Luxussportwagen beflügelt. Und das kann man diesmal durchaus wörtlich nehmen. Schließlich ist die fast sechs Meter lange Studie mit ganz wenigen, von Chromstreifen und LED-Bändern akzentuierten Linien nicht nur leidenschaftlicher, forscher und frischer gezeichnet als selbst der AMG GT. Wie es sich für einen Traumwagen von Mercedes gebührt, hat Wagener dem 2+2-Sitzer charakteristische Flügeltüren ins flache Dach geschnitten. Dazu die lange Haube, das weit nach hinten gerückte Greenhouse nach Art einer Jet-Kanzel, die eindrucksvollen 24-Zöller mit dem Aero-Design und das Boattail-Heck – fertig ist ein Traumwagen, der so manch einem Millionär schlaflose Nächte bereiten dürfte.
Und dabei haben die Sehr-Viel-Besserverdiener noch nicht einmal einen Blick in den Innenraum werfen können. Denn fertig modelliert und komplett ausgestattet gibt es den nur in Wagners Vorstellung. Aber der Designchef malt diese Vision in so grellen und kräftigen Farben, dass man sich Ambiente und Ausstattung bildhaft vorstellen kann.
Wie eine Luxusversion von Raumschiff Enterprise
Das gesamte Cockpit ist ein hinter Kristallglas verborgenes 180-Grad-Display mit Touchfunktion und Gestensteuerung und die Frontscheibe wird bei Bedarf zum transparenten Bildschirm für Navigation und Infotainment. Obwohl es im Maybach 6 aussieht wie in einer Luxusversion von Raumschiff Enterprise, gibt es allerdings noch ein vertrautes Element: Das Lenkrad. "Zwar kann diese Vision natürlich autonom fahren", sagt Wagener. Aber wenn irgendwann einmal alle Autos selbstständig fahren, dann werde es der wahre Luxus sein, wieder selbst ins Steuer greifen zu können, ist der Designchef überzeugt.
Dabei verspricht er einen modernen Mix aus innovativer Digitaltechnik und traditioneller Handwerkskunst mit feinsten Materialien. "Denn in einer Zeit, in der selbst das edelste Smartphone mit der nächsten, nicht mehr kompatiblen Software-Generation zum elektronischen Alteisen wird, gibt es eine Sehnsucht nach authentischem, analogen Luxus", ist Wagner überzeugt. Über den digitalen Anzeigen im Cockpit drehen sich deshalb im "hyperanalgogen" Cockpit auch weiter echte Zeiger. Umgekehrt sind dafür die Zierelemente der Capitonné-Polsterung nicht einfach nur mit Leder kaschierte Knöpfe, sondern spezielle "Body Sensor Displays", mit denen die Passagiere gescannt werden. So steuert der Maybach automatisch Sitzklimatisierung, Massage und die Form der Polster oder regelt die Temperatur und Ambientebeleuchtung nach Lichteinfall und Farbe der Kleidung. Das könnte gerade in Pebble Beach nicht schaden, wo es bisweilen schwer fällt, am heißen Nachmittag noch einen coolen Auftritt hinzulegen.
Vier Elektromotoren mit zusammen 750 PS
So abgehoben Ambiente und Ausstattung sein mögen, so geerdet wirkt der Maybach beim Antrieb. Vier Elektromotoren mit zusammen 750 PS und ein Akku von 80 kWh jedenfalls sind mittlerweile keine ganz so abwegige Vorstellung, genauso wenig wie die knapp vier Sekunden von 0 auf 100, das Spitzentempo von 250 km/h und die Reichweite von über 500 Kilometern. Und selbst, dass der Maybach 6 in gerade einmal fünf Minuten den Strom für weitere 100 Kilometer "tanken" könnte, nimmt man den Entwicklern beinahe ab.
Zwar macht Mercedes keinen Hehl daraus, dass es den Maybach 6 so nie zu kaufen geben wird. Doch so ganz folgenlos wird die Studie trotzdem nicht bleiben. Nicht nur, weil sie Wagener als Inspiration für das nächste Coupé der S-Klasse dienen könnte und weil er den neuen Grill mit Längsstreben wie Nadelstreifen alsbald in die Serie übernehmen will. Wagner will dem noblen Mercedes-Ableger damit vielmehr den Weg in eine eigenständigere Zukunft ebnen und dabei dem Beispiel von AMG folgen: „Dort haben wir mit mehr oder minder starken Modifikationen der Serienmodelle begonnen und nach dem SLS nun mit dem Mercedes-AMG GT bereits das zweite exklusiv Modell auf der Straße.“ Selbst wenn der Maybach 6 auch für Geld und gute Worte nicht zu kaufen ist, könnte er deshalb zu neuen Modellen führen, die in ein paar Jahrzehnten dann auch wieder als Klassiker aufs Green von Pebble Beach dürfen.
Hans