Von Mario Hommen/SP-X
Heutzutage ist es normal, dass jeder und alles vernetzt ist. Das gilt für Personen wie Fahrzeuge, die sich leichthin mit mobilem Internet ausstaffieren lassen. Dieser Umstand erlaubt, dass sich Fußgänger und Kleinbusse sogar zu Speed-Dates verabreden können. In Hannover ist das bereits gelebter Alltag. Dort testet die 2016 gegründete VW-Tochter Moia ein neues Beförderungskonzept, das mit Hilfe einer Software und einer App eine Spontan-Anbahnung in verblüffend unkomplizierter Weise erlaubt. Ende 2017 ist die Testphase angelaufen, an der mittlerweile gut 3.500 in einem Bewerbungsverfahren auserwählte Einwohner und 35 VW T6 beteiligt sind. Die Nutzer scheinen recht angetan vom neuen Konzept, vor allem auch angesichts des vorläufigen Preises, für den man gerne ein paar Nachteile in Kauf nimmt.
Das Besondere an Moia ist das Pooling-Prinzip. Eigentlich kann man sich wie beim Taxi an fast jedem Punk der Stadt abholen und aussetzen lassen. Damit aber der Shuttle möglichst ausgelastet ist und wirtschaftlich und ökologisch eine optimierte Ausnutzung erlaubt, können während einer Tour Gäste zu- oder aussteigen. Im Hintergrund ermittelt ein Algorithmus für die im Stadtbereich ständig umherfahrende T6-Flotte und anfragende Fahrgäste die beste Zeit- und Streckeneffizienz stets in Echtzeit.
Dieser Umstand macht Moia zu einem ÖPNV-Taxi-Zwitter, bei dem sich Gäste manchmal in Geduld üben müssen. So wie Florian, der sich aus der Innenstadt zu seiner am Nachmittag startenden Arbeitsschicht ins VW-Werk in Hannover-Stöcken chauffieren lässt. Seit den Anfängen im Herbst 2017 ist der Student bei Moia dabei: "Zweimal die Woche, donnerstags und freitags, fahre ich mit Moia zur Arbeit. Vorher habe ich dafür die Straßenbahn benutzt, doch die ist nicht so attraktiv, gerade jetzt, wo die Fahrt mit Moia so günstig ist." Immerhin 8,5 Kilometer ist seine Strecke lang, für die das Moia-Taxi rund 15 Minuten braucht. "Das kostet mich pro Fahrt 50 Cent." Zwar kann Florian dank Semesterticket die Straßenbahn kostenlos nutzen, doch ist dies für seinen Arbeitsweg nicht immer optimal. Ein Taxi wäre ihm ohnehin zu teuer, ein eigenes Auto besitzt er nicht und mit dem Fahrrad ist ihm die Strecke zu weit. "Vor allem wenn ich von der Uni zur Arbeit fahre, sind mir die Öffis zu heikel, denn zum Werk fährt nur jede Stunde eine Bahn."
Mobilitätsdienst Moia im Test
BildergalerieMit dem Moia-Shuttle kann Florian später losfahren und kommt in der Regel pünktlich an. Wenn er per App mit einigen Bildschirmberührungen ein Fahrzeug anfordert, vergehen meist nur wenige Minuten, bis er einsteigen kann. Allerdings, räumt der Student ein, könne es auch mal eng werden, wenn Gäste zusteigen, denn dann muss der T6 oft Umwege fahren. Das gibt der Algorithmus vor, dem der Fahrer strickt folgt. "Ich hab es schon mal gehabt, dass ich zu spät gekommen bin, weil noch einer zugestiegen ist und das Moia einen Umweg fahren musste. Da hab ich bei der Arbeit angerufen, dass ich fünf Minuten zu spät komme. Das war dann auch ok." Moia-Sprecher Christoph Ziegenmeyer empfiehlt deshalb Nutzern, die bei der Ankunftszeit auf Nummer sicher gehen wollen, ein Taxi zu nehmen.
Start-up will künftig Gewinne erwirtschaften
Der Taxi-Verweigerer Florian hofft hingegen, bei seinen Fahrten alleine zu bleiben. Diesen Komfort kann das Taxi bietet, für das man in Hannover 3,20 Euro Grundpreis und gut zwei Euro pro gefahrenem Kilometer zahlen muss. Ziegenmeyer räumt ein, dass in der aktuellen Testphase von Moia noch nicht die endgültigen Preise aufgerufen werden, auch weil manches in der Pilotphase mit geschlossener Nutzergruppe nicht immer perfekt läuft. Da wäre es unfair, einen angemessenen Preis zu verlangen. Wenn das Start-up allerdings Gewinne erwirtschaften will, und das ist der Plan, muss der Betrag deutlich steigen. Wie hoch, bleibt noch geheim.
Echte Preise gibt es erst 2019. Dann will Moia in Hamburg mit einer großen Flotte antreten, die, anders als in Hannover, nicht mehr aus T6 mit Dieselmotor, sondern aus eigens von Moia entwickelten Elektrobussen besteht. Das künftige Pooling-Fahrzeug, das im Werk Osnabrück gebaut wird, sieht zwar sehr nach Crafter aus, doch ein E-Crafter, das betont man bei Moia, ist das kommende Fahrzeug nicht. Trotz vieler Teile aus dem VW-Regal bietet das E-Shuttle nämlich eigenständige Designelemente und einen exklusiven Innenraum. Deshalb lautet der offizielle Modellname auch Moia +6. Die 6 soll auf die Anzahl der Sitze für Fahrgäste verweisen, die übrigens viel Entfaltungsspielraum, Armlehnen, USB-Ports und eine Komfortkopflehne vorfinden werden. Die spezielle Kopflehne soll Gästen ein Gefühl räumlicher Intimität vermitteln, was Moia Cocooning nennt.
Wohl gegen Ende 2018, vielleicht auch erst Anfang 2019 sollen 200 dieser +6 in der Elbmetropole starten. In wenigen Jahren ist ein Ausbau auf sogar rund 1.000 Busse geplant, die dann fast das gesamte Stadtgebiet abdecken. "Pooling ist ein System der großen Zahlen", sagt Ziegenmeyer. Deshalb wurde in Hannover die Versuchsflotte auch von 20 auf 35 Autos aufgestockt, was eine größere Zahl Nutzer und eine Reduzierung der Umwege erlaubt.
Apropos Zahlen: Die 35 Hannover-T6 sind zwischen fünf Uhr morgens und Mitternacht an Werktagen bzw. Freitag und Samstag sogar bis drei Uhr nachts unterwegs. Nur sonntags setzt der Moia-Service aus. Die Autos, normale T6 Multivan der Ausstattung Business mit vier Fondplätzen, fahren dabei pro Monat gut 10.000 Kilometer zusammen und werden bereits nach etwa einem halben Jahr ausgemustert. In einer Achtstundenschicht bedient ein Moia-Shuttle in der Regel 30 bis 40 Gäste, manchmal auch mehr als 50. Das ist viel im Vergleich zu Taxis, die in einer Stadt wie Hamburg im Schnitt meist um zehn Touren pro Schicht fahren.
Taxi-Unternehmer kündigen Widerstand an
Da verwundert es kaum, dass das Moia-Projekt bei Taxiunternehmern gar nicht gut ankommt. Moia vertritt die Ansicht, dass ihr Angebot eine Lücke füllt – und klassische Taxinutzer gar nicht Zielgruppe sind. Die Taxi-Lobby scheint solche Argumente nicht zu überzeugen. In Hamburg haben Taxi-Unternehmer jedenfalls Widerstand angekündigt. Ein in Hannover zugestiegener Fahrgast, der sich mit Mohammed vorstellt, outet sich als Taxifahrer, der für seine privaten Fahrten das Moia einem Taxi vorzieht. Für ihn ist der Preis entscheidend. Er sagt aber auch, das Taxis Imageprobleme haben. "Einerseits gelten sie als teuer und es gibt auch Fahrgäste, die sich nicht so gerne zu einem fremden Menschen ins Auto setzen." Da es sich bei Moia um ein vergleichsweise großes Unternehmen handelt, das sich zudem in der Testphase befindet, sind seiner Meinung nach die Fahrer serviceorientierter und damit das Erlebnis für Gäste insgesamt angenehmer als beim Taxi.
Statt den Taxis Gäste abzuluchsen, will Moia nach eigenen Bekundungen mit seinem Dienst den Verzicht aufs eigene Auto erleichtern. In mehreren deutschen Großstädten sollen Moia-Flotten entstehen, die, so die optimistischen Schätzungen, bis 2025 eine Million Pkw von den Straßen holen könnten. Dank E-Antrieb würden die Fahrten von Moia zumindest lokal emissionsfrei sein, was sich positiv auf Umwelt und Luftqualität auswirken könnte. Doch ob dies ein substanzieller Beitrag zur Verkehrswende werden kann, bleibt abzuwarten. Der Verkehrswende haben sich auch viele der jungen Carsharing-Anbieter verschrieben, an den überfüllten Straßen hat sich in deutschen Metropolen allerdings nichts geändert. Ob Moia im Kampf gegen die Autoflut erfolgreicher sein wird, wird sich zeigen. Gleiches gilt auch für die Kundenakzeptanz, wenn ab kommenden Jahr in Hamburg die Preise im Vergleich zum aktuellen Testbetrieb deutlich anziehen.
Wolf Grütter