Von Peter Weißenberg/SP-X
Warum sollten die siebenjährigen Zwillinge eigentlich nicht ganz vorn im Auto sitzen? Da können sie doch viel besser sehen, wie es Richtung Urlaub geht. Eine schwachsinnige Frage? Nicht, wenn es nach Michael Mauer geht. Im Gegenteil: Der Konzern-Designchef von Volkswagen spornt sogar seine kreativsten Querdenker an, auf derartige Herzenswünsche der kleinsten Kunden und ihrer Eltern Antworten zu finden. "Ich gehe sogar noch weiter: Wenn die Zwillinge immer noch vor Langeweile quengeln, dann blenden wir auf alle Außenscheiben lebensechte Unterwasserwelten ein. Oder Dinosaurier in freier Wildbahn. Oder Bibi Blocksberg auf dem Hexenbesen."
Kein Problem in der gar nicht mehr so fernen Zukunft, glaubt Mauer. Seine Teams in VWs neuen Future Centern arbeiten schon an solchen Ideen für die Zeit, in der wir vollautonom, vollvernetzt und vollelektrisch fahren werden. Wenn der Gesetzgeber mitspielt, ist es dann eben nicht mehr nötig, dass ein aufmerksamer Lenker am "Fahrerarbeitsplatz" vorn links Platz nimmt.
Auch Mercedes und BMW haben auf Messen schon Ausblicke auf ähnliche Lösungen für den Straßenverkehr von Übermorgen gegeben. Irgendwie drängte sich da aber oft der Eindruck auf, es gehe um irgendwann im nächsten Jahrhundert. Mauers Mannschaft redet eher über das Ende des kommenden Jahrzehnts.
Lebensstil, Luxus, Sportlichkeit, Transport oder Bequemlichkeit
Mit Serienentwicklungen müssen sich die Mitarbeiter der in diesem Jahr geschaffenen Future-Center aber nicht beschäftigen - und auch nicht mit konkreten Lösungen für die einzelnen zwölf Konzernmarken. Ihr Fokus kommt eher aus den Wünschen an Lebensstil, Luxus, Sportlichkeit, Transport oder Bequemlichkeit, die es in der Gesellschaft gibt. Dazu haben sie die Chancen im Blick, die der rasante technische Wandel beschert.
Dass Autos überall auch völlig fahrerlos unterwegs sein können, wird schon in wenigen Jahren möglich sein. Kein Mensch muss dann zwingend mehr unbedingt vorn aus dem Auto schauen. Bei einer vollautomatischen Stadtrundfahrt zum Beispiel können dann auf die Scheibe Informationen zu den Sehenswürdigkeiten, Shopping-Möglichkeiten oder Sportplätzen projiziert werden.
Das Auto wird mit Ampeln, anderen Verkehrsteilnehmern, dem Internet oder Parkhäusern ständig vernetzt sein. Und damit ist der Passagier je nach Wunsch immer in Kontakt mit der Außenwelt; so, als ob er auf dem heimischen Sofa auf dem Tablet mit der Tante in Australien chattet. "Der Wohnraum daheim wird immer mehr zu unserem Leitbild für das Interieurdesign", sagt auch Tomasz Bacorski, Chef des Interior Design bei Volkswagen. Darum hat sein Team etwa das Konzeptauto ID für Paris mit weißen weichen Stoffen ausgeschlagen. Das Steuer fährt nur bei Bedarf vor - und nur dann sind auch die Instrumente zu sehen.
"Wir holen uns da weniger Anregungen von anderen Autoherstellern", so Bachorski. Wie Menschen Smartphones bedienen, wo sie sich in der Freizeit wohlfühlen, das ist der Maßstab. Das System Auto soll Wünsche erfüllen, die dem Passagier vielleicht noch gar nicht ganz bewusst sind, so Bachorski. Ähnlich dem Smartphone, dass mir schon beim Aufstehen mitteilt, was ich heute vorhabe, welche Freizeitbeschäftigung mir bei dem Wetter gefallen könnte - und wie ich dort rechtzeitig hinkomme.
Revolution für das Innenraumdesign
Die dritte Revolution ist für das Innenraumdesign vielleicht die bedeutendste: Die Elektroautos von Morgen haben keinen großen Motor mehr unter der Haube, keine Welle mehr, die sich durch die Mitte des Autos wulstet, keinen fetten Tank. Praktisch "wie ein Skateboard mit vier Rädern in den Ecken", so Mauer. Darum hat bereits der Volkswagen ID bei den Außenmaßen eines Golfs die Innenraumgröße eines derzeitigen Passats. Dazu noch wesentlich mehr Variabilität: Die Sitze im Fond lassen sich wie im Kino hochklappen. "Warum nicht noch die Vordersitze drehen und einen Tisch in die Mitte", so Bachorski.
Oder einfach den ganzen Innenraum voll mit Kuchen, Brötchen und Torten? Auch der Lieferverkehr der Zukunft wird wohl ganz anders aussehen als heute, wenn kein Fahrer mehr hinter dem Steuer sitzen muss: Dann könnte die Großbäcḱerei einfach die Ware mit dem Stapler von vorn bis hinten in den fensterlosen Transporter wuchten - und der fährt dann vollautomatisch die Filialen an. Beim Entladen tankt die Batterie dann wie eine elektrische Zahnbürste kontaktlos Strom nach, um weiterzufahren.
Für solche Szenarien entwickelt Mauers Future Center die Design-Ideen. Das macht sichtlich Spaß: "Ich bin mir sicher: Jetzt ist die Stunde des Designs", sagt Michael Mauer - und verspricht: "Die Autos der Zukunft werden so vielfältig und unterschiedlich sein wie noch nie."