Über Jahrzehnte hinweg lockte die IAA als großes Branchentreffen der Autoindustrie Hersteller und Fans aus aller Welt nach Frankfurt. Klassische Themen waren Luxus, Leistung und reichlich neue Autos. Mittlerweile befinden sich Mobilität und Autobranche jedoch im Wandel, was sich nun mit aller Deutlichkeit auf das Messe-Format durchschlägt. Der Umzug nach München ist dabei eher Nebenaspekt. Dank vieler Präsentationsbühnen auf den schönen Plätzen der Innenstadt soll aus dem Event auch ein familienfreundliches Straßenfest werden. Doch entscheidender für die inhaltliche Neuausrichtung ist die Zusammensetzung der Austeller und ihrer Exponate, die vermutlich nur wenige klassische Autofans vom Hocker reißen dürften. Doch die IAA will in diesem Jahr zeigen, dass Mobilität auch anders geht und künftig anders sein wird.
Den Wandel der vom Verband der deutschen Automobilhersteller (VDA) ausgerichteten IAA verdeutlicht allein ein Blick auf die Vorberichterstattung in den klassischen Automedien. Bereits im Frühjahr hätten diese mit großen IAA-Vorschauen die vielen Weltpremieren und Stars der Messe promotet. Doch es gibt keine von PS-Superlativen strotzenden Geschichten über das "Premieren-Feuerwerk", denn schlichter Fakt ist: Es gibt nur wenige Autohersteller und wenige neue Autos. Und bei diesen geht es in Hinblick auf Superlative meist um Reichweite statt um Leistung.
Noch vor wenigen Jahren waren auf der IAA alle namhaften und viele weitere Autohersteller vertreten, doch mittlerweile hat sich deren Liste – auch coronabedingt – drastisch verkleinert. Die Japaner und der GM-Konzern bleiben fern, Stellantis mit seinen 14 Marken glänzt ebenfalls durch Abwesenheit. Das betrifft sogar die Tochter Opel. Die eigentlich urdeutsche Marke war bislang elementarer Bestandteil der IAA in der Frankfurter Ära. Doch trotz eines bereits angekündigten Wandels zum reinen Elektroauto-Hersteller hat die Blitzmarke in München auf einen Stand verzichtet.
Wie bereits auf der IAA 2019, die unter anderem mit großen Demos von Auto-Gegnern für Schlagzeilen sorgte, wird es sich auf der Münchener Neufassung vor allem ums E-Auto drehen. Und zumindest hier wird die Messe tatsächlich Bühne zumindest einiger zum Teil sogar wegweisender Neuheiten. Dazu wird unter anderem der Mégane E-Tech Electric von Renault zählen. Der Kompaktstromer, der auf einer neuen Elektroplattform der Renault-Nissan-Mitsubishi-Allianz aufsetzen wird, steht für das deutlich gereifte Elektroauto der zweiten Generation. Sogar mehrere Elektroneuheiten wird BMW vorstellen und sich in seiner Heimatstadt zudem als größter Aussteller präsentieren. Neben der gewagten Zukunftsvision Mini Vision Urbanaut und dem neuen Elektroscooter CE 04 sind bereits offiziell die beiden neuen Elektroautos iX und i4 angekündigt.
Auch der Daimler-Konzern, der mittlerweile ebenfalls eine klare E-Strategie definiert hat, wird sich mit neuen Elektroautos schmücken. Erwartet werden die elektrische E-Klasse EQE sowie eine elektrifizierte Variante der G-Klasse. Überdies dürften ein paar volksnahe E-Neuheiten auf der IAA Premiere vorstellig werden. So wird Smart ein neues E-SUV und VW voraussichtlich einen bezahlbaren Elektro-Kompakten zeigen.
Auf der "Blue Lane" durch die Stadt
Die E-Mobilität werden die Besucher der IAA auf der sogenannten "Blue Lane" sogar hautnah praktisch erleben können. Auf der Route, die Stände im Altstadtzentrum mit denen auf der im Münchener Osten gelegenen Messe Riem verbindet, sollen neben neuen batterieelektrischen Stromern auch Brennstoffzellen-Fahrzeuge wie der BMW X5 Hydrogen sowie Hybridfahrzeuge und E-Scooter unterwegs sein.
In besonders großer Zahl dürften elektrifizierte Einspurfahrzeuge auf der IAA auftauchen. Die Messestände von Repräsentanten der Fahrradindustrie sind nämlich fast so zahlreich wie die der Autoindustrie. Rund 50 Radmarken sind vertreten, die vor allem die neuesten Pedelecs dem Publikum schmackhaft machen werden. Vielleicht werden diese nur schmückendes Beiwerk sein, doch zumindest von der Anzahl her begegnen sie den Autoherstellern auf Augenhöhe.
Breites Bündnis der Auto-Gegner
Doch die IAA soll nicht mehr nur Bühne für Produktneuheiten sein, sondern auch Visionen für eine umweltfreundlichere Mobilität verkaufen. Statt wie 2019 die Kritiker der Autoindustrie auszusperren, will man in München den Dialog anbieten. Ein Hersteller wie BMW wird deshalb seine Agenda von Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft nicht nur präsentieren, sondern das Messepublikum dazu einladen, sich aktiv in Gesprächen einzubringen.
Scharfe Kritiker der IAA wird der Aufruf zum Dialog allerdings kaum davon abhalten, wie schon 2019 gegen die im Kern weiterhin als Autoshow deklarierte Messe zu demonstrieren. Unter dem Motto #aussteigen hat sich ein breites Bündnis aus Organisationen wie Attac, BUND, Greenpeace oder den ADFC dazu aufgerufen, am Samstag, den 11. September gegen die als "grünes Täuschungsmanöver" bezeichnete IAA Mobility zu demonstrieren. Spannend könnte die Frage sein, wer an diesem Tag zahlreicher vertreten sein wird: Kritiker oder Fans der Autoshow?
Michael Bellinger