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Der Pkw-Innenraum der Zukunft: Digitales Detox

09.02.2023 10:58 Uhr | Lesezeit: 5 min
Bildschirme gibt es hier nicht mehr - stattdessen projeziert die BMW-Studie Informationen in die Winschutzscheibe.
© Foto: BMW

Der Fernseher fungiert in vielen Wohnzimmern als zentrales Deko- und Einrichtungselement. Auch im Auto haben Bildschirme prominente Plätze erobert. Doch die Gegenbewegung hat schon eingesetzt.

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Noch sind übergroße Bildschirme die zentralen Prestige-Objekte im Pkw-Cockpit. Doch langsam setzt ein gegenläufiger Trend ein. In den ersten Fahrzeugstudie rücken die Displays nun optisch wieder in den Hintergrund – und machen Platz für neue Wohn- und Interieur-Welten.

Die Magie der großen Screens hat im Automobilbau zuerst Tesla entdeckt. Kein kleiner Teil der Faszination des Model S dürfte in dem üppigen Tablet in der Mittelkonsole begründet gewesen sein, neben dem die pixeligen Anzeigeflächen der Konkurrenz plötzlich wie Lerncomputern aus dem Kinderzimmer aussahen. Lange währte der Vorsprung aber nicht: Schön bald rüsteten die Wettbewerber nach und übertrafen die Amerikaner sogar. Vorläufiger Höhepunkt: Der sogenannte "Hyperscreen", der sich in der Mercedes S-Klasse über das komplette Armaturenbrett zieht - 0,24 Quadratmeter HD-Hightech. Mehr geht kaum.


Mercedes-Maybach Haute Voiture

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Wie viele Trends dürfte aber auch der zu Mega-Bildschirmen auf dem Höhepunkt kippen. Erste Anzeichen dafür sind schon zu sehen. Auch, wenn die Screens bei den Volumenherstellern noch im Wachsen begriffen sind, setzen Premiumautobauer und Zulieferer bereits auf eine gegenläufige Entwicklung. Die Idee: Der moderne Mensch ist im Alltag mittlerweile von so vielen Bildschirmen, Digitalanzeigen und Interfaces umgeben, dass Bildschirm-Detox der wahre Luxus ist. Zudem sind die großen Glasflächen bei ausgeschalteter Zündung blind und schwarz - eine hässliche Leerstelle mitten im Cockpit, die nach Möglichkeit gefüllt werden soll. Ganz ohne Anzeige-Displays geht es im modernen Auto allerdings auch nicht, Geschwindigkeitsanzeige und Navigations-Anweisungen sind der Mindeststandard – die Hersteller müssen also kreativ werden.


BMW i Vision Dee

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Auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas etwa hat BMW Anfang des Jahres einen Innenraum-Entwurf präsentiert, der in seiner digitalen Zurückgenommenheit so etwas wie der Gegenentwurf zum Hyperscreen ist. Denn im i Vision Dee ist zunächst kein einziger Bildschirm zu sehen: Das Armaturenbrett ist komplett nackt, auch hinter dem Lenkrad ist kein Instrument zu finden. Stattdessen werden alle Fahrinformationen inklusive Augmented-Reality-Inhalten in die Windschutzscheibe gespiegelt. Und zwar gleich über deren gesamte Breite. Darüber hinaus verschwinden alle physischen Schalter, Knöpfe und Regler aus dem Innenraum, selbst Türgriffe gibt es nicht. Bedienelemente blenden erst bei Bedarf auf, werden in Form von Lichtmustern hinter den Innenraumverkleidungen sichtbar. "Shy Tech" heißt das im Designer-Jargon -  "schüchterne Technik". Ein Mega-Trend in der Interieur-Gestaltung, den es nicht nur bei BMW gibt. Das Ergebnis ist ein fast schon spartanischer Innenraum, bunt und digital wird er nur bei Bedarf und in dem Umfang, den die Insassen wünschen. Ansonsten wirkt das Auto-Cockpit eher wie ein Wohnraum als wie ein Arbeitsplatz, entspannt statt fordernd.

Dass die digitale Technik sich an die Bedürfnisse des Menschen anpasst, statt umgekehrt, ist auch die Idee bei der jüngst präsentierten Studie XiM23 des auf Fahrzeug-Innenräume spezialisierten Zulieferers Yanfeng. Beim Einsteigen werden die Insassen von dem großen SUV im sogenannten "Calm Mode" – dem Ruhemodus – empfangen. Das Licht im Cockpit ist gedämpft, kein Bildschirm ist zu sehen, der gesamte Innenraum wirkt freundlich, zurückhaltend und entspannt. Nimmt der Fahrer Platz, fährt ein schlankes, über die gesamte Fahrzeugbreite gezogenes Display zwei Finger hoch aus dem Armaturenbrett heraus. Gleichzeitig klappt ein Mini-Bildschirm in der Mittelkonsole auf, am Lenkrad werden durch Hinterleuchtung Multifunktionstasten sichtbar. Insgesamt bleiben die optischen Reize aber zurückhaltend und wohltemperiert.


Yanfeng-Studie XiM23

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Wer es digitaler möchte, wechselt in den "Rich"-Mode, den "angereicherten" Zustand. Dann fährt der bislang schmale Armaturenbrett-Bildschirm auf doppelte Höhe aus, wodurch die Menge der dargestellten Informationen ebenso wächst wie der Detailreichtum der Grafik. Zu einer richtigen Kino-Leinwand entfaltet sich der Bildschirm im "Immersive"-Modus, der für das vollautomatisierte Fahren gedacht ist. Das Display nimmt nun gut die halbe Fensterhöhe ein und verstellt so den Blick nach draußen. Auf der konkaven Fläche lassen sich nun unter andere Filme, Sportübertragungen oder Videospiele darstellen.

"Die hier gezeigten Techniken und Ideen können aber auch in kleineren Fahrzeugklassen zum Einsatz kommen", erläutert Andreas Maashoff, Leiter der Innovations-Abteilung von Yanfeng in Europa. Die erstmals öffentlich präsentierte Studie zeigt, was heute oder morgen möglich ist im Auto. "Das meiste, was wir hier an Neuem zeigen, könnte schon bald in Serie gehen." Auch der Verzicht auf einen prominenten Bildschirm als zentrales Einrichtungselement zählt dazu. Yanfeng hat für die Studie umfangreiche Kunden- und Nutzerbefragungen durchgeführt, die auch ein Bedürfnis nach digitaler Ruhe gezeigt haben.


Audi Urbansphere Concept

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Während BMW den Bildschirm durch ein Head-up-Display ersetzt und Yanfeng die Videotechnik einfach im Armaturenbrett versenkt, nutzt Audi die Innenraummaterialien als Leinwand. In der jüngst präsentierten Crossover-Studie Urbansphere dient das Holz des Amaturenbretts als Projektionsfläche für das Infotainmentsystem. Die luftig-transparente Grafik sorgt in Kombination mit der durchscheinenden Maserung des Naturmaterials für einen überraschend organischen Eindruck, von dem sich auch der technikskeptischste Insasse nicht gestört fühlen dürfte.

Bei Serienautos dürfte sich der Trend zu großen Displays zunächst aber noch eine Weile fortsetzen. Bei kaum einem neuen Modell fällt der Screen aktuell kleiner aus als bei seinem Vorgänger. Und auch wenn BMW Mitte des Jahrzehnts seine neue E-Auto-Familie vorstellt, wird sie wohl anders als die Studie nicht komplett auf offen liegende Screen-Flächen verzichten. Und ob Audi in seinen Produktionsfahrzeugen wirklich Holz-Leinwände einsetzt, bleibt ebenfalls abzuwarten. Langfristig jedoch könnten die unübersehbaren Bildschirme jedoch dezent in den Hintergrund rücken. Zumindest in der Premium-Klasse.

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