Menschelnde Justiz

Menschelnde JustizGebrauchtwagenverkauf E Defekt, Mangel, Verschleiß oder Schaden? Nach wie vor gibt es Klärungsbedarf in der Rechtsprechung!autohaus juristen rechtsanwälte G. Haug & PartnerEs geht um die Rückwirkungsvermutung beim Gebrauchsgüterkauf beim Auftreten von Fehlern innerhalb von sechs Monaten, hier speziell beim Gebrauchtwagengeschäft. Die auch Beweislastumkehr genannte Bestimmung des § 476 BGB führt wegen rechtlicher und auch technischer Fehlbeurteilungen immer wieder zu absonderlichen Gerichtsentscheidungen bei Gebrauchtwagen.Die AusgangslageEs kann im Autohaus jeden Tag geschehen: Ein Kunde kauft einen alten Gebrauchtwagen und stellt nach einiger Zeit fest, dass ein Fahrzeugteil nicht mehr funktioniert. Für einen normal denkenden Menschen wäre dies keine Überraschung und noch vor wenigen Jahren sicher auch nicht für einen Gebrauchtwagenkäufer. Alte Fahrzeuge haben nun einmal ihren Reparaturbedarf. Im Zeitalter des exzessiven Verbraucherschutzes darf aber nicht normal gedacht werden und auch der Gesetzgeber hat sich hier – scheinbar – einem neuen Anspruchsdenken gebeugt. Nicht nur bei neu hergestellten Sachen, sondern auch bei gebrauchten soll nach der Rechtsprechung gelten, dass ein innerhalb von sechs Monaten auftretender Fehler schon beim Verkauf in der Sache „angelegt“ gewesen sei. Das Gegenteil habe beim Gebrauchtwagen der Kfz-Händler zu beweisen, was – wie die Rechtsprechung sehr wohl weiß – in der Praxis so gut wie nie möglich sein wird.Der Fall aus der PraxisEin Kunde kaufte beim Autohaus gegen Mitte 2007 einen Gebrauchtwagen der unteren Mittelklasse mit Baujahr 1999 und einer Gesamtfahrleistung von 235.000 km. Nach neun Tagen benötigte der Kunde einen neuen Druckfühler für € 155,00, was ihm nicht besonders auffällig erschien; er verständigte das Autohaus nicht und ging zu einem Drittunternehmen. Nach weiteren 2.000 km funktionierte auch die Einspritzpumpe nicht mehr. Jetzt erstmals trat der Kunde an das Autohaus heran und verlangte nach abgelehnter Nachbesserung die Rückgängigmachung des Kaufvertrages.Im Prozess ging es darum, ob bei dem Fahrzeugalter und der erheblichen Fahrleistung überhaupt eine Rückwirkungsvermutung in Frage kommen kann, was in vergleichbaren Fällen von der Rechtsprechung abgelehnt worden war (BGH in NJW 2004, 2299; LG Hof, 32 O 713/02). Liegt auch deshalb Verschleiß vor, der dann keinen Mangel darstellen kann (BGH in NJW 2006, 434)? Bei dieser klaren Sach- und Rechtslage wäre die Einschaltung eines Gutachters eigentlich überflüssig gewesen. Der trotzdem eingeschaltete Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass beim Kauf ein Fehler am Nockenwellensensor und an der Einspritzpumpe noch nicht vorgelegen haben könne, weil ansonsten das Fahrzeug nicht mehr hätte gestartet werden können. Der nochmals befragte Sachverständige erklärte, dass bei der fraglichen Laufleistung mit einem Defekt an den beiden Teilen gerechnet werden „muss“. Erläuternd fügte er hinzu, dass es auch einen nicht klassischen Verschleiß bei Teilen gebe, die nicht regelmäßig auszutauschen seien. Der Hinweis erschien besonders wichtig, weil bei elektronischen Teilen eine Abnutzung nicht im Sinne eines langsamen Materialverlustes stattfindet, sonder sich der Verschleiß nur dadurch ausdrücken kann, dass das Teil seinen Dienst einstellt (weshalb auch ein Zustandsgutachten vor Verkauf nichts gebracht hätte). Die RechtsprechungDas alles hat das befasste LG Regensburg nicht interessiert. Zur Überraschung wohl beider Parteien setzte das LG einen bloßen Defekt mit einem Mangel gleich und ignorierte die Sachverständigenausführungen (1 O 1747/07). Bei so viel Fehlerhaftigkeit lag die Vermutung nahe, das Oberlandesgericht Nürnberg würde das Urteil schnellstens aufheben und die Klage abweisen. Leider wurde der Sachverständige erneut unrichtig zitiert und die BGH-Rechtsprechung im Wesentlichen außer Acht gelassen. Eine solche Entscheidung hätte der BGH wie in anderen Fällen sicherlich aufgehoben. Dazu hätte aber ein ausführliches Urteil geschrieben werden müssen und man hätte sich der höchstrichterlichen Kritik ausgesetzt. Also wurde durch einstimmigen Beschluss entschieden (8 U 2119/08), gegen den keine Revision und nicht einmal eine Nichtzulassungsbeschwerde zulässig ist. Gedacht war die entsprechende Gesetzesbestimmung eigentlich zur Entlastung des BGH. Genutzt wird sie jedoch immer mehr durch Oberlandesgerichte, die sich keiner Kritik stellen wollen.Die Gesetzeslage Eigentlich wäre alles ganz einfach. Der Gesetzgeber wollte nicht, dass Gebrauchtwaren bzw. hier Gebrauchtwagen unter die Rückwirkungsvermutung fallen. Dies ergibt sich völlig eindeutig aus der amtlichen Begründung zum neuen Schuldrecht (Bundestagsdrucksache 14/6040, S. 245). Danach gilt die Rückwirkungsvermutung „vor allem“ nicht für gebrauchte Sachen, weil sie hier bereits nach der Art der Sache ausgeschlossen ist. Das Bundesjustizministerium hat dafür auch an gleicher Stelle die einleuchtende Begründung gegeben: „Bei gebrauchten Sachen besteht schon wegen des sehr unterschiedlichen Grades der Abnutzung kein entsprechender allgemeiner Erfahrungssatz.“ Gemeint ist bezüglich der Vermutung, dass ein Fehler bereits beim Verkauf vorgelegen haben müsste. Auch der wichtigste Kommentar zum BGB schloss sich hier dem Bundesjustizministerium an. Dass dies alles von der Rechtsprechung nicht beachtet worden ist, mag erstaunen. Nach der juristischen Methodenlehre gehört die Prüfung der Gesetzesmaterialien und hierbei an erster Stelle die amtliche Gesetzesbegründung zum unverzichtbaren Prüfungsmaßstab bei Gesetzesauslegungen. Haben die wissenschaftlichen Assistenten beim Bundesgerichtshof bei den Urteilsvorbereitungen zu wenig gelesen? Ist hohen Richtern die Methodenlehre aus den ersten Semestern nicht mehr recht geläufig? Soll gar ein missverstandener Verbraucherschutzgedanke gegen den Gesetzgeber durchgesetzt werden?Der Vorgang offenbart auch ein bemerkenswertes Defizit an demokratischen Grundsätzen. Jeder Bundestagsabgeordnete weiß oder muss wissen, dass er im Zuge des neuen Schuldrechts der genannten Rückwirkungsvermutung nur zugestimmt hat, wenn diese nicht für gebrauchte Sachen gilt, was ihm vom Bundesjustizministerium in der amtlichen Gesetzesbegründung auch versichert worden ist. Ansonsten hätte sich möglicherweise keine Mehrheit ergeben. Natürlich werden die meisten Abgeordneten bei deren vielfältigen Aufgaben nicht wissen, dass die Rechtsprechung von den gesetzgeberischen Vorgaben abgewichen ist. Es muss ihnen nur gesagt werden. Auch in anderen Fällen hat der Gesetzgeber bei erkannten Fehlentwicklungen mit Gesetzesänderungen zur Verdeutlichung des Gewollten eingegriffen. Die berufständischen Organisationen sind also seit langem gefordert. Neben eigenen geeigneten Maßnahmen könnten alle Kfz-Betriebsinhaber angehalten werden, bei ihrem jeweiligen Wahlkreisabgeordneten vorstellig zu werden. So könnte etwas bewegt werden. Rechtsanwalt Gernot M. Haugkanzlei@raehaug-partner.deKurzfassung1. Defekt, Mangel, Verschleiß und Schaden sind unterschiedliche Rechtsbegriffe. Eine Vermengung ist unzulässig.2. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat Grundsätze für den Umgang mit Mängeln an Altfahrzeugen entwickelt. Diese werden zu wenig beachtet.3. Bei elektronischen Bauteilen gibt es keinen „klassischen“ Verschleiß durch Materialverbrauch. Dort besteht der Verschleiß in einem plötzlichen Versagen. Der Gedanke ist dem Kfz-Fachmann nicht neu, allerdings der Rechtsprechung.4. Ärgerlich ist die Tatsache, dass der Gesetzgeber die Rückwirkungsvermutung bei Mängeln an Gebrauchtwagen nicht wollte, was von der Rechtsprechung nicht beachtet wird.Kommentar< Auch in Kfz-Sachen ist die Rechtsprechung sehr menschlich, das heißt widersprüchlich, fehlerhaft, uneinheitlich und häufig mutwillig der Kritik entzogen; Branchenanwälte können hier weiterhelfen. Daneben ist es misslich, wenn der Gesetzgeber eine bestimmte Absicht verfolgt und die gesamte Rechtsprechung dies nicht beachtet. Kommt jedoch – wie in der Gebrauchtwagen-Rechtsprechung – beides zusammen, haben wir einen landesweiten Missstand, gegen den die Branche im Interesse aller Betriebe angehen muss. Fraglich bleibt, ob dies bereits allgemein erkannt worden ist. >

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