Ausgabe 09/2011: Hürdenlauf

HürdenlaufArbeitsrecht E Arbeitsvertragliche Formularklauseln zur Kurzarbeit überprüfen. Autohaus-Juristen Rechtsanwälte G. Haug und PartnerDie Naturkatastrophe in Japan führt weltweit zu Produktionsausfällen bei den Automobilherstellern. Es besteht die Gefahr, dass selbst die Vor- und Überproduktionen „auf Halde“ diese Ausfälle nicht kompensieren können. Wie in der Presse nachzulesen, denken die deutschen Fahrzeughersteller seit März laut darüber nach, Kurzarbeit einzuführen. Sollte es auf Grund der Umstände zu nachhaltigen Lieferschwierigkeiten kommen, müsste sich ggf. auch der Neufahrzeughandel mit dem Thema Kurzarbeit beschäftigen. Ein jüngst veröffentlichtes Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg vom 7. 10. 2010 (Aktenzeichen 2 Sa 1230/10) befasst sich mit dieser Thematik und stellt erhebliche Hürden für die Einführung von Kurzarbeit durch eine arbeitsvertragliche Klausel auf.Grundlagen der KurzarbeitKurzarbeit kann durch den Arbeitgeber nicht „einfach so“ angeordnet werden. Die Einführung von Kurzarbeit unterfällt nicht dem Direktionsrecht des Arbeitgebers, sondern setzt entweder eine Betriebsvereinbarung bzw. einen Tarifvertrag oder aber eine individuelle Abrede mit den betroffenen Arbeitnehmern voraus. Eine Betriebsvereinbarung ist eine Einigung zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber; dies setzt naturgemäß schon begrifflich voraus, dass ein Be-triebsrat überhaupt existiert. Bei den meisten Autohäusern ist dies nicht der Fall. Für tarifgebundene Arbeitgeber können sich ggf. entsprechende Regelungen im Tarifvertrag befinden – mit den dortigen Einschränkungen. Der Manteltarifvertrag für das Bayerische Kfz-Gewerbe beispielsweise setzt wiederum eine Vereinbarung mit einem vorhandenen Betriebsrat voraus und statuiert – neben anderem – eine Zuschusspflicht des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld, damit 90 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens gewährleistet sind. Für die allermeisten Branchenunter-nehmen verbleibt als Möglichkeit der Einführung von Kurzarbeit nur die direkte vertragliche Absprache mit den Arbeitnehmern. Dies kann ad hoc geschehen, wenn die Kurzarbeit unmittelbar vor der Tür steht. Der Arbeitgeber ist hier allerdings auf die Einwilligung der Arbeitnehmer angewiesen. Fehlt diese, bleibt nur das schwierige Mittel einer Änderungskündigung. Eine entsprechende direkte Vereinbarung kann aber auch bereits in dem zu Beginn des Arbeitsverhältnisses abgeschlossenen Arbeitsvertrag getroffen sein. Mit letzterem setzt sich die oben genannte Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg auseinander.Die Entscheidung des LAG Berlin-BrandenburgDas LAG hatte über folgenden Fall zu entscheiden: Der Kläger, ein kaufmännischer Angestellter in einem Speditionsunternehmen, hatte im Jahr 2001 mit seinem Arbeitgeber einen schriftlichen Arbeitsvertrag geschlossen. In diesem war in einer Vertragsklausel unter anderem Folgendes bestimmt: Kurzarbeit kann, wenn sie vom Arbeitsamt anerkannt wird, für den Betrieb, eine Betriebsabteilung oder einzelne Arbeitnehmer nach deren Ankündigung eingeführt werden. Im Zeitraum Juli 2009 bis Februar 2010 führte der Arbeitgeber nach entsprechender Information der Arbeitnehmer Kurzarbeit ein. Auf Antrag des Unternehmens hatte die Agentur für Arbeit am 20. Juli 2009 für die Betriebsabteilung des Klägers für den vorgenannten Zeitraum Kurzarbeit genehmigt. In den entsprechenden Monaten rechnete der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der eingeführten Kurzarbeit vermindert ab. Wegen der sich hieraus ergebenden Vergütungsdifferenzen rief der Kläger das Arbeitsgericht an, welches das beklagte Unternehmen zur Nachzahlung verurteilte. Das LAG bestätigte das erstinstanzliche Urteil in der Berufungsinstanz.Nach Auffassung des LAG ist in der oben genannten Formularklausel über die Einführung der Kurzarbeit eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers gemäß § 307 Abs. 2 BGB zu sehen. Die Klausel ist deshalb unwirksam, die Anordnung von Kurzarbeit konnte eine Verminderung der Vergütung nicht bewirken. Zur Begründung führte das LAG an, die Klausel enthalte keine Ankündigungsfrist für die Anordnung von Kurzarbeit, und bereits dieser Umstand führe zur Unwirksamkeit der Klausel. Tarifverträge zur Kurzarbeit sähen beispielsweise Ankündigungsfristen zwischen fünf Arbeitstagen und vier Wochen vor. Darüber hinaus enthalte die Klausel keinerlei Begrenzung des Umfangs der Kurzarbeit und „keinerlei Maßgaben zur personellen Konkretisierung“ der Kurzarbeit. Es seien eine Vielzahl von Regelungsnotwendigkeiten zu beachten. Dies beträfe beispielsweise „Umfang und Ausmaß der Kurzarbeit, den betroffenen betrieblichen Bereich, den betroffenen Personenkreis, die Art und Weise der Einbeziehung dieses Personenkreises und vieles mehr“. Auch sei in der Klausel nicht enthalten, inwieweit etwa von der Einführung der Kurzarbeit nur in dem Umfange Gebrauch gemacht werden soll, wie ihn die Bundesagentur bewilligt hat und zu Gunsten der Arbeitnehmer mit Kurzarbeitergeld bezuschusst.AusblickDas LAG stellt eine derartige Fülle von Voraussetzungen auf, wie sie von einer generellen und für alle Mitarbeiter gleichermaßen geltenden Vertragsklausel letzten Endes nicht erfüllt werden kann. Schließlich werden derartige Vereinbarungen zum Beginn eines Arbeitsverhältnisses im schriftlichen Arbeitsvertrag getroffen, wenn sich die Frage der konkreten Einführung einer Kurzarbeit (noch) nicht stellt. Zukünftige Erfordernisse können jedoch im Detail nicht vorausgeahnt werden. Dementsprechend muss eine solche Klausel in gewissen Teilen immer einen abstrakten Regelungsgehalt haben. Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg geht daher in Teilbereichen zu weit. Allerdings und in jedem Fall sind die Auswirkungen auf den Urlaub, die Fristen für die Ankündigung von Kurzarbeit, die maximal zulässige Begrenzung der Arbeitszeit und die Einbindung eines von der Agentur für Arbeit gewährten Kurzarbeitergeldes in einer Klausel über die Einführung von Kurzarbeit vorab zu regeln. Die allermeisten Arbeitsverträge dürften diesen Anforderungen nicht genügen und sollten auf den Prüfstand gestellt werden. Rechtsanwalt Rainer Bopp, Fachanwalt für Arbeitsrecht, kanzlei@rae-partner.deKurzfassung1. Die Einführung von Kurzarbeit unterliegt nicht dem Direktionsrecht des Arbeitgebers, sondern setzt entweder eine Betriebsvereinbarung oder einen Tarifvertrag, oder aber eine individuelle Vereinbarung mit dem betroffenen Arbeitnehmer voraus.2. Fehlt es an einer kollektiv- oder individualrechtlichen Regelung über die Anordnung von Kurzarbeit und verweigern die Arbeitnehmer im konkret anstehenden Einzelfall ihre Einwilligung, kann eine die Vergütung reduzierende Kurzarbeit nur mittels einer Änderungskündigung durchgesetzt werden.3. Nach dem Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 7. 10. 2010 muss eine wirksame Klausel im Arbeitsvertrag zur Anordnung von Kurzarbeit beinhalten: Umfang und Ausmaß der Kurzarbeit, den betroffenen betrieblichen Bereich, den betroffenen Personenkreis, die Art und Weise der Einbeziehung dieses Personenkreises, die Frage der Bewilligung von Kurzarbeit durch die Bundesagentur für Arbeit und „vieles mehr“. Bisherige arbeitsvertragliche Regelungen sind zu überprüfen.Kommentar< Gemäß § 611 BGB hat ein Arbeitnehmer die vereinbarten Dienste zu erbringen, der Arbeitgeber hat die hierfür vereinbarte Vergütung zu bezahlen. Die Anordnung von Kurzarbeit aufgrund einer entsprechenden Klausel im Arbeitsvertrag stellt eine Abweichung dieser wechselseitigen gesetzlichen Leistungspflichten dar. Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 7. 12. 2005 (Aktenzeichen 5 AZR 535/04) für den Fall einer vertraglichen Vereinbarung, wonach der Arbeitgeber die Leistung des Arbeitnehmers in bestimmtem Umfang einseitig abrufen darf, entschieden, dass ein solcher einseitiger „Änderungsvorbehalt“ im Arbeitsvertrag nicht mehr als 25 Prozent der Arbeitszeit betreffen darf, da ansonsten zu sehr vom gesetzlichen Regelungsgehalt abgewichen wird. Auch die Anordnung von Kurzarbeit aufgrund einer Klausel im Arbeitsvertrag stellt einen solchen einseitigen Änderungsvorbehalt dar. Es ist daher zu überlegen, ob die Einführung von Kurzarbeit durch eine Klauselabrede im Arbeitsvertrag ebenfalls einer vergleichbaren prozentualen Beschränkung unterworfen ist. Es gilt zu bedenken, dass bei einer nicht wirksamen Vertragsklausel die kürzere Arbeitszeit nicht zu einer Reduzierung der Vergütung führen kann, der Arbeitgeber also trotz geringerer Leistung des Arbeitnehmers das volle Monatsgehalt zu zahlen hat. Rechtzeitige Beratung ist im Einzelfall angezeigt. >

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