Das EU-Parlament hat die Kriterien für die realistischeren Abgastests bei Dieselautos beschlossen. Die Parlamentarier folgten am Mittwoch dabei den Vorschlägen der Mitgliedsstaaten, die deutlich weniger streng sind als in den ursprünglichen Plänen der EU-Kommission. Bei der Abstimmung in Straßburg wurde die erforderliche absolute Mehrheit von 376 Stimmen gegen den Entwurf verfehlt. Nur 317 Parlamentarier entschieden sich für eine Ablehnung – hauptsächlich Sozialdemokraten und Grüne. 323 Abgeordnete stimmten hingegen dafür.
Nach den Plänen darf der Stickoxid (NOx)-Ausstoß neuer Pkw-Typen ab 2017 unter realen Fahrbedingungen beim sogenannten RDE-Test um 110 Prozent über dem gesetzlich vorgeschriebenen Laborwert von 80 Milligramm pro Kilometer liegen. Erst ab 2020 müssen die Grenzwerte exakt eingehalten werden, wobei eine Abweichung um 50 Prozent Messungenauigkeiten ausgleichen soll. Ab 2021 sollen die Grenzwerte für alle Neuwagen, nicht nur für neu auf den Markt gebrachte Modellreihen, gelten. Ursprünglich hatte die EU-Kommission strengere Regeln vorgeschlagen, die erlaubte Abweichung etwa war auf 60 Prozent begrenzt.
Sieg der Autolobby? Sieg der Vernunft?
Stickoxide können zu Atem- und Kreislaufbeschwerden führen und tragen zur Bildung von Feinstaub bei. Die Schadstoffe stehen auch im Zentrum des VW-Skandals um manipulierte Abgaswerte. Während die Grünen das Abstimmungsergebnis als Sieg der Autolobby geißelten, sprachen Christdemokraten von einem "Sieg der Vernunft". Die neuen und durchaus anspruchsvollen Werte könnten Städten und Gemeinden bei der Luftreinhaltung helfen, sagte der CDU-Parlamentarier Herbert Reul. Die Grünen-Vorsitzende Rebecca Harms kritisierte den Experten-Beschluss, der es erlaube, "die eigentlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Stickoxid noch jahrelang um ein Vielfaches zu überschreiten".
Positiv äußerte sich die deutsche Industrie. Für den Präsidenten des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann, bringen Abgasmessungen im Straßenverkehr den Kunden mehr Klarheit und Zuverlässigkeit. "Die deutsche Automobilindustrie ist daran interessiert, so schnell wie möglich realistischere Angaben zu Verbrauch und Emissionen ihrer Modelle anbieten zu können", sagte er. Die Anforderungen seien aber trotzdem sehr ehrgeizig. Im Vergleich zum heutigen Bestand bedeuteten sie eine Schadstoffsenkung von 78 Prozent.
Dieter Schweer, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), sagte: "Dieses Prüfverfahren kann die EU nun wie geplant bereits ab 2017 für alle neuen Modelle einführen und damit spürbar die Luftqualität verbessern."
Abgassonde an Bord
Bis vor wenigen Monaten hatten die sogenannten "Real World Driving Emissions" (RDE) nur Insider beschäftigt. Doch durch den VW-Dieselskandal hat das Thema Schadstoffmessung im realen Fahrbetrieb an Brisanz gewonnen. Künftig sollen neue Pkw mit einer Abgassonde auf Landstraßen und Autobahnen getestet werden. Schon jetzt ist klar, dass Pkw die aktuellen Labor-Grenzwerte zumindest in Sachen Stickoxide dabei wohl kaum einhalten können. Die gültige Abgasnorm Euro 6 sieht einen Grenzwert von 80 Milligramm NOx pro Kilometer vor, ermittelt im Labortest mit dem noch aktuellen NEFZ-Normzyklus. Die nun festgelegten Abweichungs-Grenzwerte erlauben nun zunächst 168 Milligramm – etwas weniger als in der bis September gültigen Abgasnorm Euro 5 im Labortest vorgesehen war.
Wie leicht oder schwer dieser Wert zu erreichen ist, hängt auch von der konkreten Ausgestaltung des RDE-Tests ab. Klar ist aber, dass der Schadstoffausstoß im realen Straßenverkehr massiv höher liegt als im Labor. Studien aus den Niederlanden, Norwegen und Deutschland gehen bei Stickoxiden aus Dieselfahrzeugen von Überschreitungen vom sieben bis fünfzehnfachen der europäischen Grenzwerte aus. (dpa/sp-x)