Im Abgasskandal bei Volkswagen werfen die USA dem Autobauer Tricks und Täuschung auch bei der Aufarbeitung der Affäre vor. "Die Bemühungen der Vereinigten Staaten, die Wahrheit über die Emissionsüberschreitungen und andere Ungereimtheiten zu erfahren (...), wurden behindert und gehemmt durch das Vorenthalten von Material und irreführende Informationen, die VW zur Verfügung gestellt hat", heißt es in der Klageschrift der US-Regierung, die das Justizministerium am Montagabend in Washington vorgelegt hatte. Damit drohen VW theoretisch gut 45 Milliarden Dollar (41,8 Milliarden Euro) Strafe plus eine weitere, möglicherweise milliardenschwere Zahlung im Ermessen des Gerichtes, wie aus der Anklageschrift hervorgeht.
Das US-Justizministerium will sich nicht konkret zum möglichen Strafmaß für Volkswagen im Abgas-Skandal äußern. "Wir haben keine mögliche Maximalstrafe spezifiziert und werden uns nicht an Spekulationen beteiligen, was die Richter letztlich entscheiden werden", sagte ein Sprecher am Dienstag auf Nachfrage. In der Klageschrift seien lediglich satzungsmäßige Gesetzesinformationen für das Gericht aufgeführt, um den Ernst der Vorwürfe zu verdeutlichen.
Die Nachrichten aus den USA kommen für Deutschlands größten Konzern zur Unzeit. Nächste Woche startet in Detroit die US-Automesse. Sie gilt als Gradmesser für die Branche und den Erfolg der deutschen Fahrzeughersteller in den USA, dem nach China weltgrößten Automarkt. Die Vorzugsaktie der Wolfsburger drehte am Dienstagmorgen ins Minus und büßte bis Mittag teils rund fünf Prozent ein. Ein Konzernsprecher sagte am Dienstag, das Unternehmen sei in ständigem Austausch mit den US-Behörden. VW müsse die Klage nun zunächst im Detail überprüfen.
Der VW-Konzern hatte den Einsatz von Manipulations-Software bereits 2015 eingeräumt. Die drohenden, milliardenschweren Strafen staffeln sich nach verschiedenen Vorwürfen, Modelljahren und Motorgrößen und beziehen sich auf insgesamt knapp 600.000 Wagen.
Umweltstrafen von bis zu 37.500 Dollar pro Fahrzeug
In einem ersten Block geht es um Umweltstrafen von bis zu 37.500 Dollar pro Fahrzeug, und zwar aufgeteilt auf je zwei angebliche Gesetzesverstöße. Block zwei dreht sich um bis zu 3.750 Dollar pro Auto als Strafe für die illegale Motor-Software. Bei Block drei wiederum drohen unabhängig von der Fahrzeuganzahl bis zu 37.500 Dollar für jeden einzelnen Tag der Verstöße. Damit summiert sich die theoretische Höchststrafe auf gut 45 Milliarden Dollar. Hinzu kommen Gerichtskosten und eine nicht näher bezifferte Strafe, die im Ermessen der Richter liegen soll, wie es in der Klageschrift heißt.
Analysten schrieben am Dienstag teilweise auch von deutlich höheren möglichen Strafzahlungen von bis zu 90 Milliarden Dollar, ohne allerdings eine Rechnung für diesen Wert zu veröffentlichen.
Die enorme Summe ist aber nur eine theoretische. Ähnliche Fälle, bei denen technische Pannen in Autos auch Tote forderten, endeten mit weit geringeren Strafen. Jedoch: Nach dem Umweltdesaster um die Ölbohrplattform "Deepwater Horizon" des britischen Rohstoffriesen BP im Golf von Mexiko 2010 mit elf toten Arbeitern und einer teils verpesteten US-Südküste bekannte sich der Rohstoffriese in zwölf Fällen strafrechtlicher Vergehen für schuldig und akzeptierte vier Milliarden Dollar Strafe. Vergangenen Juli zahlte der Konzern zusätzlich die Rekordsumme von fast 19 Milliarden Dollar, um diverse weitere Klagen beizulegen.
"Öffentliche Gesundheit schützen"
Die Vorwürfe der US-Behörden in der 31-seitigen Klageschrift gegen VW zielen gleichlautend auf zwei Motorgrößen; Diesel mit 2,0 und 3,0 Liter Hubraum. "Wir unternehmen einen wichtigen Schritt, um die öffentliche Gesundheit zu schützen, indem wir versuchen, Volkswagen für jegliche widerrechtliche Luftverschmutzung zur Rechnung zu ziehen", sagte Cynthia Giles von der Umweltbehörde EPA, in deren Auftrag die Klage eingereicht wurde.
Die Wolfsburger hatten immer wieder betont, vollumfänglich mit den US-Behörden zu kooperieren. Am 18. September hatten EPA und CARB ihre Vorwürfe öffentlich gemacht. Zunächst war es nur um Manipulationen von kleineren 2,0-Liter-Dieselmotoren gegangen. Später wurde bekannt, dass auch in größeren, von Audi entwickelten 3,0-Litermotoren Software installiert wurde, die unter US-Recht verboten ist, und den Behörden nicht ordnungsgemäß offengelegt wurde.
Volkswagen bereitet dort einen Rückruf von Fahrzeugen mit manipulierter Motor-Software vor. Bislang haben sich die Wolfsburger mit den US-Umweltbehörden noch nicht auf einen Plan dazu einigen können. Die Gespräche hätte keine akzeptable Lösung hervorgebracht, heißt es in der Mitteilung des US-Ministeriums. "Wir arbeiten an Lösungen, aber über die Details können wir öffentlich noch nicht sprechen", sagte ein VW-Sprecher dazu, ohne weitere Einzelheiten zu den Gesprächen zu nennen. In Deutschland startet die Rückrufaktion für betroffene Fahrzeuge in diesem Jahr.
Zivilklagen auch in Deutschland
Hierzulande ziehen sich die Ermittlungen zur Abgas-Affäre in die Länge. Es müsse dabei ein möglicher Tatzeitraum von bis zu zehn Jahren aufgearbeitet werden, hatte der zuständige Braunschweiger Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe vor dem Jahreswechsel gesagt. Die Behörde ermittelt unter anderem wegen Betrugsverdacht gegen mehrere Mitarbeiter des Konzerns.
Wegen der falschen Abgaswerte bahnen sich auch in Deutschland teure Zivilklagen enttäuschter Autofahrer und VW-Aktionäre an. Anders als in den USA gibt es hierzulande jedoch kein Sammelklage-Verfahren: Jeder Autofahrer, der glaubt, einen Schaden erlitten zu haben, muss diesen dokumentieren, beweisen und dann selbst geltend machen. Auch in etlichen anderen Ländern laufen Ermittlungen und Verfahren gegen Volkswagen.
Dagobert Duck
THK
Winter