Von Michael Gebhardt/SP-X
Die Zeiten ändern sich: War bei Autovorstellungen jahrzehntelang nur von Leistung und Fahrwerk die Rede, und später vielleicht noch vom Verbrauch, so geht es heutzutage immer mehr um Digitalisierung und Konnektivität. Ein Thema, an dem in absehbarer Zeit kein Hersteller mehr vorbeikommt, und das die Autobauer vor völlig neue Herausforderungen stellt. Schon allein deshalb, weil die Entwicklungszyklen in der digitalen Welt ungewohnt kurz sind. Während die Ingenieure neue Funktionen und Techniken über Jahre hinweg entwickeln und testen, arbeiten die IT-Experten im Wochenzyklus an Updates und neuen Versionen. "Da muss das ganze Unternehmen umdenken," betont Dieter May, der bei BMW für Digitale Dienste zuständig ist.
Doch dieser Schritt ist unvermeidbar, wenn der Münchner Autobauer seine Kunden bei Laune halten und ein Desaster vermeiden will, wie es den einstigen Handy-Primus Nokia ereilte, der den Fortschritt schlichtweg verschlafen hat: Einer McKinsey-Studie zu Folge ist schon heute über ein Drittel der Premium-Mittelklasse-Kunden, also der 3er-BMW-Fahrer, bereit, nur wegen des Angebots an digitalen Services die Marke zu wechseln. Und schließlich bietet die schnelllebige Welt der Bits und Bytes auch für den Autobauer viele bislang ungeahnte Vorteile: Musste man zum Beispiel üblicherweise bis zum Facelift warten, um neue Kaufanreize setzen zu können, lassen die sich nun softwareseitig in viel kürzeren Abständen realisieren.
Doch hinterm dem Stichwort Digitalisierung steckt weit mehr, als schnellere Updates: Bisher war es so, dass BMW ein Auto entwickelt und gebaut hat, das der Kunde beim Händler kaufen konnte. Direkten Kontakt zwischen Hersteller und Käufer gab es selten, und war der neue Wagen erstmal abgeholt, sah ihn auch das Autohaus in der Regel höchstens noch zu den Inspektionen oder bei einer Reparatur. Über neue, digitale Angebote aber hat das Unternehmen selbst nun die Chance, mit seinen Kunden in steten Kontakt zu treten und vor allem Feedback zu bekommen. Und das sogar außerhalb des Fahrzeugs, denn die Digitalisierung des Autos fängt schon vorher an.
Ab August in Europa verfügbar
Wie die neue Auto-Welt aussieht, zeigt BMW Connected, ein Konnektivitäts-Service der Münchner, der in den USA schon erfolgreich getestet wurde und ab August auch in Europa verfügbar ist. Das Herzstück von BMW Connected ist eine App, die auf das – zunächst nur von Apple stammende – Smartphone geladen werden kann und die innerhalb weniger Minuten mit dem eigenen Fahrzeug Verbindung aufnimmt. Neben Informationen über das Auto – Ist der Wagen abgeschlossen? Sind alle Fenster zu? – weiß die App unter anderem auch über den persönlichen Terminkalender Bescheid. Diese Daten bekommt sie entweder automatisch aus dem Kalender-Programm auf dem Smartphone oder man fügt sie manuell hinzu. Sogar aus anderen Apps können manche Daten übernommen werden.
Da BMW Connected auch über die aktuelle Verkehrssituation informiert ist, mahnt die App schon am Frühstückstisch zum rechtzeitigen Aufbruch, um nicht zu spät zu kommen. Das ist deutlich hilfreicher, als erst im Fahrzeug vom Navigationssystem zu erfahren, dass auf der geplanten Route Stau ist. Apropos Navi: Das Ziel muss natürlich nicht mehr händisch eingegeben werden. Ist das Smartphone im Auto, wird die Adresse automatisch an das Infotainmentsystem übertragen – kabellos. Auch aus der Karten-App des Handys lassen sich Ziele von zum Beispiel Restaurants oder Geschäften direkt ans Auto schicken und aufgrund von persönlichen Mobilitätsmustern versucht die App zu erahnen, wo man als nächstes hinwill.
Wer also jeden Abend um 18 Uhr vom Büro nach Hause fährt, bekommt mitunter automatisch einen Hinweis, dass heute auf seiner Stammstrecke besonders viel Verkehr ist. Wer sich trotz der ganzen Technik dennoch verspätet, kann mit BMW Connected gleich noch eine vorgefertigte SMS an die bereits beim Essen Wartenden schicken. Und ist vor der Tür kein Parkplatz mehr frei, übernimmt die App die Wegführung auf den letzten Metern bis zum Ziel. Digitalisierung fängt schließlich nicht nur an, bevor man ins Auto steigt, sondern sie hört auch nicht mit dem Abstellen des Motors auf.
Funktionsumfang wächst
Das Gehirn von BMW Connected ist die sogenannte Open Mobility Cloud, an der inzwischen hunderte von Spezialisten arbeiten und deren Funktionsumfang immer größer wird. Zu den Stärken dieser Plattform zählen laut May vor allem die verschiedenen möglichen Touchpoints, also die Geräte, mit denen man die Funktionen nutzen kann. Zwar liegt der Fokus ganz klar auf dem Smartphone als ständiger Begleiter, doch können unter anderem auch Smartwatches und ab Herbst (in den USA) auch Amazon Echo eingebunden werden. Der kleine Kasten, der schon bei vielen Amerikanern zuhause im Wohnzimmer steht, reagiert auf Sprachbefehle und kann dank BMW Connected antworten auf Fragen nach dem Ladestand der Batterie oder dem nächsten Termin geben.
Und schon im Herbst, wenn die neue Generation des 5ers die Bühne betritt, will BMW die nächste Ausbaustufe mit bislang noch nicht bekannten Funktionen präsentieren. Davon können dann auch all diejenigen profitieren, die sich schon jetzt für BMW Connected entscheiden, denn wie es sich in der digitalen Welt gehört, sind die Services abwärtskompatibel. Gut möglich also, dass auch die After-Sales-Teams bald nicht mehr nur Räder und Fußmatten an den Mann bringen wollen, sondern auch neue Software.
Jochen S