Wie immer startete die Veranstaltung mit einem Grußwort von Senator a.D. Volker Lange, dem Präsidenten des Verbands der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK e.V.). Lange hob in seiner Rede die Bedeutung des FSP-SV-Tages hervor, der sich durch die Vermittlung "hochqualifizierten Fachwissens" längst einen Namen in Deutschland und dem Ausland gemacht hat. Unter den Teilnehmern und Gästen befand sich auch Dr. Matthias Schubert, seit 1. September 2015 neben Prof. Dr.-Ing. Jürgen Brauckmann (Vorsitzender) und Jörg Hauser weiterer Geschäftsführer der TÜV Rheinland Kraftfahrt GmbH. Dr. Schubert verlieh in Leipzig seiner Freude darüber Ausdruck, "die Kollegen und Kolleginnen der FSP kennengelernt zu haben". Darüber hinaus sei die Themenstellung des SV-Tages "hoch aktuell" gewesen.
Im Namen der FSP-Geschäftsleitung begrüßte Chef-Sachverständiger Udo Schütt das Auditorium. Er setzte sich in seinem Vortrag mit der Frage auseinander, wie Digitalisierung und autonomes Fahren künftig die Tätigkeit des Sachverständigen beeinflussen werden. Sein Thema: "Der Sachverständige 2.0 – Neue Voraussetzungen und Aufgaben im Zeitalter von autonomem Fahren und Digitalisierung".
"Sachverständige künftig unverzichtbar"
In Datenbanken, Schadensteuerungssystemen, vernetzter Kommunikation und bei vielen anderen Themen sah Schütt "nicht nur große Herausforderungen, sondern auch eine Menge Chancen". Das Auto werde "erneut die Welt verändern, und das wird auch uns betreffen", ist er überzeugt. Mit gewisser Skepsis allerdings blickt er dem "Autonomie-Zeitalter" entgegen. Computer in den Fahrzeugen könnten zwar schneller rechnen als ein Mensch und auch emotionslos entscheiden. Die für Schütt relevanten Fragen aber waren: "Wer entscheidet die Programmierung des Computers und damit im realen Straßenverkehr über Leben und Tod? Was passiert, wenn der Computer nachweisen kann, alles richtig gemacht zu haben, der Unfall aber trotzdem unausweichlich war? Oder der Fahrer im letzten Moment eingegriffen und möglicherweise dadurch den Unfall ausgelöst hat?" Es werde Situationen geben, so Schütt, in denen auch die "Maschine" einen Unfall verursacht und nicht mehr der Fahrer. Zur Klärung all dieser Schuldfragen werde zukünftig der Sachverständige unverzichtbar sein.
Ohnehin sah Schütt ein wachsendes Betätigungsfeld für Sachverständige, wobei die Befassung mit Software und Elektronik zunehmen werde und den Gutachtern auch der Hagel "erhalten bleiben wird". Schütt sparte im weiteren Verlauf seiner Ausführungen die aus seiner Sicht noch fehlenden gesetzlichen Rahmenbedingungen für das selbst fahrende Auto genauso wenig aus wie Betrachtungen zur "Maschinenethtik", Datenriesen wie Google und Apple oder versicherungsrelevante Themen.
Ohnehin drehte sich auf dem 13. SV-Tag der FSP alles um das Thema Digitalisierung, präsentiert von weiteren hochkarätigen Experten wie beispielsweise Gerd Heinemann (bbe Automotive GmbH), Professor Dr. Marc Drüner (Consultants Trommsdorff+Drüner), Prof. Dr. Michael Schreckenberg (Stauforscher und Physiker an der Uni Duisburg Essen) und Erik Jahn von Audatex AUTOonline.
Auch das Internet verändert die Aufgaben
"Die ersten autonomen Fahrzeuge nehmen bereits am öffentlichen Straßenverkehr in Großbritannien teil. Wie wirkt sich die neue Technik auf die Arbeit des Sachverständigen aus, wenn diese verunfallen und eine sachgerechte Reparatur wichtiger denn je zuvor wird?", skizzierte und hinterfragte FSP-Geschäftsführer Ralf Strunk die Thematik. "Die zweite Halbzeit der Digitalisierung, das ‚Internet of things‘, wird für den Kfz-Sachverständigen von immenser Bedeutung sein", erklärte FSP-Geschäftsführer Frank Isselborg. Sein Fazit lautet: "Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit. Der Sachverständige von heute und morgen ist gut beraten, die Veränderungen aktiv zu gestalten und sein Geschäftsmodelle an Kunde und Markt zu orientieren."
Endkunde muss erreicht werden!
Prof. Dr. Marc Drüner zeigte in seinem Vortrag auf, dass es heute im Vergleich zu früheren Jahren nicht nur technologisch möglich, sondern für Sachverständigen-Organisationen "und im Grunde alle Industrien unverzichtbar" ist, den direkten Kontakt zum Endkunden herzustellen. Wer es schaffe, über Content-Marketing an die Verhaltensdaten seiner Kunden zu gelangen, dem gehöre auch wirtschaftlich die Zukunft, weil er in einen direkten Dialog mit seinen Kunden eintreten und sie letztlich auch analog ihrer Bedürfnisse an seine Produkte und Dienstleistungen heranführen könne. Zum Verständnis zeigte Drüner anhand von Beispielen aus dem Markt auf, wie beispielsweise Zulieferer im Automotive Sektor es geschafft hatten, an den OEM und dem Handel vorbei Direktkommunikation zu betreiben. "Klassische Entwicklungs- und Vertriebswege mit dem Kunden als anonymem Konsumenten gehören der Vergangenheit an", bilanzierte Drüner.
Die Marktmacht von CHECK24
"Auch Versicherungen kämpfen um den Endkunden, jetzt will jede Gesellschaft verhaltensbasierte Tarife anbieten", fuhr er fort. Im Mittelpunkt steht auch hier das Smartphone, mit dem man den Kunden direkt erreiche. Seine Zukunftsprognose lautete: "Am Ende wird der, der Zugang zum Endkunden hat, das ganze Geschäft machen. Alle anderen werden reine Zulieferer in die Datenwertschöpfungskette bleiben." Als gutes Beispiel dafür nannte er das Preisvergleichsportal CHECK24, das in den vergangenen beiden "den gesamten Versicherungsmarkt an sich gerissen hat" und bereits in 2014 mit insgesamt elf Millionen Anfragen mehr gesucht war als die Top-5-Versicherer Allianz, AXA, DEVK, HDI und HUK-COBURG zusammen (zehn Millionen Anfragen).
"Echtzeitdaten" sind für Drüner auch "Live-Daten", mit denen man sofort wisse, wie man individuell auf welchen Kunden zugehen müsse, um ihn in seiner Entscheidung zu beeinflussen und zu lenken. Auch Krisen ließen sich damit deutlich besser managen. Entscheidend sei, heute "immer aus Kundensicht zu denken". Das könnten heute oftmals Start-Ups deutlich besser als etablierte Marktplayer. Selbst beim Thema Carsharing werde es "immer jemanden geben, der sich in Form der Bündelung aller verfügbaren Marktangebote zwischen einen Anbieter und dessen Kunden setzt und damit den Dienstleister zum Zulieferer macht".
Smartphone auf Rädern
Gerd Heinemann bezeichnete in seinem Vortrag das "Connected Car" als "das neue Smartphone auf vier Rädern". Heutigen Probleme wie Zinsflaute, Flüchtlingskrise, Abgasskandal, Ölpreisverfall, Schadensteuerung in neuer Dimension, Kostenvoranschläge anstatt Gutachten und Vielem mehr stünden auch gute Nachrichten gegnüber. Heinemann nannte hier einen aus seiner Sicht boomenden GW-Markt, eine stabile Zahl von Betrieben im Kfz-Handwerk und verbesserte Werkstatauslastung. Gut für die Sachverständigen: OEM’s und Schadensteuerer brauchen künftig kompetente Hilfe, die Zahl an Oldtimern steige und auch die komplexer werdenden Fahrzeuge benötigen kompetente Spezialisten. Der Fahrzeugbestand wachse weiter, aber Carsharing bringe "die Welt nicht durcheinander". Persönliche Beziehungen bleiben nach Ansicht Heinemanns "im Geschäftsleben weiterhin das A und O".
Klassikmarkt verlangt Top-Experten
Nach einem rund einstündigen und außerordentlich erfrischenden Vortrag von Körpersprecher Stefan Verra ("Was sagt mein Körper und warum weiß ich nichts davon? – So wirken Gang und Haltung, Mimik und Gestik") befasste sich Fabian Ebrecht, der zusammen mit Sebastian Hoffmann die FSP-Classic-Competence-Abteilung leitet, mit der Identität und Originalität bei klassischen Fahrzeugen.
Ebrecht zeigte nicht nur auf, wie dieser Markt in den letzten Jahren regelrecht explodiert ist, sondern immer öfter auch Fälscher, Nachahmer und Betrüger auf den Plan gerufen hat. Grund dafür seien die "teilweise exorbitanten Werte von klassischen Fahrzeugen. Immer häufiger treffe man im Markt auch Replikas und völlige Neuaufbauten bzw. Nachbauten an, die als solche nicht gekennzeichnet sind oder bei denen Historien, Zolldokumente und sogar Bilder gefälscht wurden. Zuweilen stehen sechs- bis achtstellige Kaufsummen im Raum, die Grenze zwischen Restaurierung und Nachbau/Fälschung sei selbst für einen SV "nicht immer einfach zu ziehen". Da zudem zu klären ist, was nach einer umfassenden Restaurierung noch original sei, empfahl Ebrecht den SV-Partnern der FSP dringend, auf die Wissensdatenbank und das Archiv von FSP-Classic Competence zurückzugreifen.
Prof. Dr. Michael Schreckenberg, an der Universität Duisburg-Essen zuständig für den Fachbereich Physik von Transport und Verkehr, zeigte danach auf, "wie wir uns morgen bewegen werden". Er beschäftigte sich in seinem Vortrag mit "künstlicher Intelligenz" und der Frage, ob man auch "Roboter vor Gericht" werde stellen müssen. An die Sachverständigen des FSP-SV-Tages appellierte Schreckenberg: "Sie müssen künftig genau wissen, was Ihr autonomes Fahrzeug macht! Ich bin gespannt, ob das alle Autofahrer hinbekommen werden."
Der Schlussvortrag der Veranstaltung blieb Erik Jahn von Audatex AUTOonline vorbehalten, der den "digitalen Werkzeugkoffer für den Sachverständigen", den sein Unternehmen anbietet, zum Thema hatte. (wkp)
13. FSP-Sachverständigentag: Chancen und Risiken der digitalen Welt
Das selbst fahrende Auto wird Sachverständige nicht "arbeitslos" machen, sondern im Gegenteil eine ganze Palette neuer Betätigungsfelder eröffnen, bei denen mehr denn je Sachverstand und Kompetenz erforderlich sein werden. Das war die Kernbotschaft eines insgesamt hoch interessanten SV-Tages der FSP vor kurzem in Leipzig.