Von Peter Maahn/sp-x
Cadillac, die noble US-Schwester von Opel, bringt ihr Flaggschiff nach Europa. Der 5,18 Meter lange CT6 soll gegen die deutschen Luxuslimousinen bestehen. Dazu wurde ihm ein ganzes Paket an moderner Technik mit auf den Weg gegeben: Allradantrieb und -lenkung, viele standesgemäße Assistenzsysteme, ein Dreiliter-Sechszylinder-Doppelturbo mit 307 kW / 417 PS und ein feines Innenleben. Je nach Ausstattung kostet der US-Riese 73.500 bzw. 94.500 Euro.
Ob die sportlichen Chevrolet Camaro und Corvette, die diversen Limousinen von Cadillac oder das Monster-SUV Cadillac Escalade – der Riesenkonzern General Motors scheiterte stets an seinem Bemühen, den anspruchsvollen Kunden auf der anderen Seite des Atlantiks den "American Way of Drive" schmackhaft zu machen. Zu groß, zu teuer, zu durstig, einfach unpassend für europäische Straßen. Vielleicht klappt's ja jetzt mit der durchaus spannenden Nobellimousine CT6.
Vom klobigen Gelände-SUC Escalade abgesehen, gab es noch nie einen so großen Cadillac offiziell in Deutschland. Doch hier steht kein US-Straßenkreuzer vergangener Tage. Der CT6 ist zwar immer noch stolze 5,18 Meter lang, wirkt aber dank seiner flachen Bauweise, dem kurzen Überhang vorn und der glatt-geschmeidigen Karosse sowohl elegant als auch sportlich. In ihm gipfelt der Wandel, den die Formensprache heutiger Cadillac-Modelle durchgemacht hat. Vom typischen Fortbewegungsmittel der betagteren Generation mit Nationalstolz und US-Aufkleber am Heck hin zu Dynamik, mutigem Design und deutlicher Anlehnung an die süddeutschen Vorbilder, vor allem Mercedes und BMW.
"Im CT6 steckt ganz viel Deutschland drin", schrieb eine US-Zeitung bei der Premiere des Cadillac-Flaggschiffs. Nun gut, ein Konzern wie GM hat es nicht wirklich nötig, in Deutschland auf Einkaufstour zu gehen. Doch er folgt dem Trend, den eine S-Klasse oder ein 7er von BMW vorgeben: kleinere Motoren mit hoher Leistung, jede Menge Elektronik und besondere Aufmerksamkeit bei der möglichst edlen Gestaltung des Innenraums. All das bietet der CT6, der jetzt in Berlin erstmals gefahren werden konnte.
Schon im Stand beeindruckend
Der Auftritt des Neulings kann schon in Stand beeindrucken. Klassische Stufenheck-Form ohne Schnörkel, wenn man mal vom LED-Tagfahrlicht absieht, das aus den Scheinwerfern senkrecht nach unten ragt, aber ein Erkennungszeichen der neuen Caddy-Generation ist. Die glatte Außenhaut, die den zu fast zwei Dritteln aus Aluminium bestehenden CT6 umschmeichelt, steht ebenso für Noblesse wie das nüchterne Heck, ebenfalls mit senkrechten Leuchten. Der weitgehende Verzicht auf Falze und Sicken kommt dem Geschmack der betuchten Kundschaft entgehen, nicht um jeden Preis auffallen zu wollen.
Durchaus auffallend ist aber der Innenraum, vor allem durch eine Neuerung, die derzeit nur Cadillac bietet. Auf Knopfdruck wird das vertraute Bild des Innenspiegels durch das einer hochauflösenden Farbkamera ersetzt. 300 Prozent mehr Sichtfläche, so gestochen scharf, das selbst einzelne Regentropfen sichtbar werden. Die Anzeigen im Cockpit erstrahlen standesgemäß mit LCD-Technik, ein großer Touchscreen-Monitor im Zentrum bietet neben dem Navigationssystem diverse andere Bedienmöglichkeiten. Die Kartendarstellung allerdings ist vergleichsweise bescheiden. Echtes Oberklasse-Gefühl vermitteln die gesteppten Ledersitze, die Bespannung der Armaturentafel und der Türverkleidungen und vieles mehr.
Überraschend agil
Der Dreiliter-Sechszylinder vertraut auf zwei Turbolader, erweist sich auf Autobahn oder Landstraße als überraschend agil. Was vor allem an seiner wuchtigen Durchzugskraft liegt, die frühes Hochschalten erlaubt und so zur besseren Futterverwertung beiträgt. Hinzu kommt, dass zwei der sechs Zylinder automatisch stillgelegt werden, wenn ihre Kraft nicht benötigt wird. Umso erstaunlicher, dass der Normverbrauch mit knapp unter zehn Litern im Schnitt deutlicher höher ist als bei stärkeren europäischen Kontrahenten. Im Test waren es bei bedächtiger Fahrt laut Bordcomputer auch etwas mehr als elf Liter auf 100 Kilometer.
Doch der Cadillac kann's auch brummig: Wenn der rechte Fuß schwer wird und die Sporttaste aktiviert ist, kann er zum Spaßmobil werden. Die Automatik twistet durch die acht Gänge, alle sechs Zylinder drehen hoch und die linke Spur gehört solange dem Amerikaner, bis ein polnischer Lkw zum Bremsen zwingt. Rätselhaft bleibt, warum der CT6 bei 240 km/h abgeriegelt wird. Die Europäer erlauben zehn km/h mehr. Aber wen interessiert dieser kleine Unterschied schon?
Assistenten-Schwemme
Ein Blick in die Preisliste offenbart, wie schnell die in Europa entwickelten elektronischen Helfer auch in den USA Einzug halten. Ein Spurhalte-Assistent, der automatisch von der weißen Fahrbahnmarkierung weglenkt, Abstandsradar, Fernlichtautomatik für das LED-Licht, Notbremsfunktion auch beim Rückwärtsfahren (wenn beim Rangieren zum Beispiel ein Einkaufswagen übersehen wurde). Der Nachtsichtassistent erkennt Menschen und Tiere. Die Elektronik übernimmt auch die Steuerung der Hinterachslenkung (je nach Lenkeinschlag bis zu 3,5 Grad) und die automatische Fahrwerksregelung, die sich blitzschnell auf den jeweiligen Untergrund einstellt.
Die feinsten dieser Details sind allerdings nur beim Spitzenmodell des CT6 zu haben. Das kostet mit 94.500 Euro auch gleich stolze 21.000 Euro mehr als der günstigste US-Riese. Das Argument, damit immer noch ein paar Tausender unter ähnlich ausgestatteten Edelkarossen aus Süddeutschland zu liegen, mag nicht zu überzeugen. In dieser Preisklasse kommt es nun mal nicht auf 10.000 Euro mehr oder weniger an.